Bei lebendigem Leibe fressen

By Rolf Ulrich Kaiser

Konkret, September 23, 1968


Das Haus, der verlotterte Palast, soll Tom Mix gehört haben. Dreißig, vierzig Jahre zurück. Jetzt wohnt Frank Zappa darin. Für ein halbes Jahr mit mindestens einem Dutzend anderer Leute, mindestens einem dutzend Besuchern jede Nacht, so etwa ab 1.00 Uhr, wenn das Haus aufgewacht ist. Vorher hauste hier eine wohlhabende Hippie-Kommune. Eltern fragen noch immer nach ihren Kindern. Nun residiert Mütter-Erfinder Frank Zappa, zur Zeit der Welt-Pop-Sprecher, diktiert hier der Sekretärin aus London, hört die ersten Kopien der ersten Platten seiner eigenen Plattengesellschaft, braucht nur in die 10 mal 70 Meter große Diele einzutreten, und Schweigen beginnt. Das Genie braucht Arbeitsruhe. Frank Zappa, einer der ernsthaftesten Musiker der Pop-Musik, hat seine Gruppe „Mothers of Invention” weltberühmt gemacht. Aber er ruht sich nicht auf Kunst-Lorbeeren aus, sondern versucht, der Gesellschaft ein Schnippchen zu schlagen, indem er seine Musik selbst verwaltet, seine eigene Werbung macht, die neuen Platten alle selbst produziert.

Frank Zappa ist mit den „Mothers of Invention” bei den „Internationalen Essener SongTagen” Ende September und bei einigen folgenden Konzerten in der Bundesrepublik. Rolf Ulrich Kaiser besuchte ihn vorher in Hollywood und befragte ihn über sein Verhältnis zu Politik und Gesellschaft.

KONKRET: Francis Vincent Zappa, Sie haben einmal gesagt: „Unsere Generation wird innerhalb der nächsten Jahre der wichtigste Wählerblock. Wir wollen dieses Land regieren.” Wollen Sie die Macht übernehmen?

ZAPPA: Selbstverständlich sollen junge Leute die Macht übernehmen, aber sie sollten sich darauf auch vorbereiten. Ich glaube, daß blutige Aufstände auf der Straße nirgendwo zu etwas führen, vor allem nicht in den USA, denn man ist dort für jede Art Aufruhr sorgfältig vorbereitet. Man hat keine Chance im Straßenkampf mit Polizei oder Army. Und bloß,  daß man ein paar Häuser niederbrennt, hilft nicht, die Sache in Ordnung zu bringen.

KONKRET: Was hilft?

ZAPPA: Wir müssen in die Positionen der alten Leute einsteigen und ihre Arbeit tun. Ich glaube, sagen zu können, daß die Dinge, die hätten geändert werden können, noch nicht geändert wurden. Aber eines Tages werden sie geändert sein. Die Mehrheit des Volkes wird dann bestimmen. In den USA taten das bisher nur Leute eines Alters und einer Gesellschaftsschicht, die absolut nicht repräsentativ für die Masse des Volkes ist.

KONKRET: Sind die Mothers ein Ansatz zur Machtübernahme?

ZAPPA: Wir würden gern dazu beitragen, daß die Leute politisch zu denken beginnen. Die meisten jungen Amerikaner denken nicht politisch. Sie haben so viel Freizeit, und alles, was sie damit anfangen wollen, ist „have a good time”. Wenn wir sie dazu bringen könnten, über die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, nachzudenken, wäre das vielleicht schon etwas. Es würde keine Wunder wirken, aber immerhin ist es besser als gar nichts.

KONKRET: Also eine heimliche Revolution ...

ZAPPA: Ich finde. die Revolution sollte nicht verborgen sein. Ich sehe darin keinen Fehler, den Leuten zu sagen, daß das einzige, was man tun sollte, das Richtige sein muß. Und wenn man sieht, daß jemand einen Fehler macht, so muß man den Fehler korrigieren. Das gilt auch für Regierungen.

KONKRET: Was für Erfahrungen haben Sie mit dem amerikanischen Radio und Fernsehen gemacht?

 ZAPPA: Der amerikanische Rundfunk weigert sich im allgemeinen, unsere Platten zu senden. Es gibt nur wenige Stationen, die unsere Platten spielen, und dann auch nur sehr kurze Partien. Sie bringen nur die Lieder, die sie für sicher halten, die ziemlich bedeutungslos sind, die die Leute nicht aufregen oder stören oder politische Ideen verbreiten. Und beim Fernsehen ist das fast genauso. Wir haben sehr selten Fernsehauftritte.

KONKRET: Warum?

Mothers of Invention ZAPPA: Ich werde Ihnen am besten einiges über die Struktur unserer Rundfunk- und Fernsehstationen erzählen: Zuerst einmal gehören die meisten Sender in den USA rechtsorientierten Business-Leuten, die überhaupt nicht liberal denken. Sie mögen keine neuen Ideen oder Ideen. die mit ihrem Standpunkt kollidieren. Und sie tun mit Absicht alles. die Öffentlichkeit davor zu bewahren.

KONKRET: Selbst wenn alles unpolitisch ist?

ZAPPA: Selbst dann. Egal, was – sie versuchen, es aus dem Weg zu halten, sie würden gern alles unter ihrer Kontrolle wissen. Und wenn wir dann über einen Mann im Rathaus singen, mit braunen Schuhen, der versucht hat, mit seiner dreizehn Jahre alten, schokoladenverschmierten Tochter ins Bett zu steigen, und wenn dieser Mann für Gesetze verantwortlich ist, die das soziale Verhalten von anderen Leuten bestimmen, und wir diese Situationen beschreiben, dann wollen sie das ganz bestimmt nicht im Radio senden. Und wenn wir dann ein Lied über die Dating-Praktiken junger Laufe, über das Verhältnis junger Mädchen machen, wenn wir von diesem Verhältnis in einer nicht alltäglichen Art sprechen, dann wollen sie nicht, daß das gehört wird.

KONKRET: Warum singen Sie mit den Mothers so viel über sexuelle Frustration?

ZAPPA: Weil ich glaube. daß hier die Wurzel des Übels ist, an dem die USA kranken. Wissen Sie, ich glaube, Frustration und Gier sind die beiden wesentlichen Probleme. In amerikanischen Filmen ist der Sex von der Gewalt abgelöst worden, und jedes Mal, wenn jemand erschossen, erschlagen, verstümmelt oder gefoltert wird, konnte ich mir gut vorstellen, daß diese Leute unter anderen Umständen wahrscheinlich mit einem Mädchen schlafen würden, wenn das die Zensoren zuließen. Aber die Gewalt ist akzeptabel. Zieht man sich aber aus oder geht es um irgendein sexuelles Problem in amerikanischen Filmen, dann wird das immer als etwas Ekelhaftes angesehen, so eine Art burleske Striptease-Erregung.

KONKRET: Hat Ihre Plattenfirma MGM Sie zensiert?

ZAPPA: Ja, ab und zu. Sie entfernten bestimmte Zeilen aus den Liedern, ohne mich vorher zu fragen. Eine der Zeilen, die sie herausnahmen, war: „Ich erinnere mich noch an Mama mit ihrer Schürze, wie sie alle Jungen und Mädchen in Ed's Cafe fütterte.” Ich weiß nicht, was sie daran schmutzig fanden. Aber sie haben es herausgenommen.

KONKRET: Hat man versucht, den Sound der Band zu ändern, damit die Wörter schwieriger zu verstehen waren?

ZAPPA: Ja. Sie haben die Aufnahmen unverständlich gemacht.

KONKRET: Konnten Sie dagegen nichts unternehmen?

ZAPPA: Nein, denn wenn sie einmal das fertige Band haben, ist es aus meinen Händen. Dann verarbeiten sie es und machen die Platte daraus. Und davor können sie natürlich noch manipulieren.

KONKRET: Zum Schluß. Francis Vincent Zappa, in welcher Welt möchten Sie leben?

ZAPPA: Ich fände eine Gesellschaft ohne Regierung gut. Ich glaube, das wäre ideal, aber in den nächsten 500 Jahren wird noch keiner dafür reif sein. Inzwischen sollten wir das Beste aus dieser Gesellschaft machen, die auf einer demokratischen Regierungsform beruht, die am Willen des Volkes orientiert ist.

KONKRET: Aber Sie haben doch eine Demokratie, zumindest eine formelle.

ZAPPA: Das ist doch ein Witz. Denn die Leute, die unsere Demokratie verwalten, haben den Kontakt mit dem Volk verloren. Sie besitzen nicht die Klugheit, den Leuten zu geben, was sie brauchen, und schon gar nicht, was sie manchmal wünschen. Den größten Einfluß haben zudem jene, die gar nicht in der Regierung sind und doch Dinge zu ihrem eigenen Nutzen zu ändern wissen. Wir nennen das in den USA „Lobby”, wo es den Leuten nur um die eigenen Interessen, keineswegs um die des Volkes geht. Das sollte endlich abgeschafft werden. Wir brauchen endlich eine funktionierende Regierung, nicht so riesig, unergiebig und unehrlich wie unsere.

KONKRET: Übrigens, möchten Sie Anarchist sein?

ZAPPA: Ja, zu Hause, in meiner Freizeit, in meinen geheimen Gedanken ja. Aber ich bin auch praktisch veranlagt, und ich weiß, daß es nicht gehen würde. Eine Anarchie kann nicht funktionieren, wenn das Volk nicht vollkommen kultiviert und zivilisiert ist. Viele aber hungern noch. Wenn sie nicht nach Essen hungern, dann nach irgendeiner emotionalen Hilfe, die sie nicht bekommen. Man muß sich mit einer sehr unerfreulichen, ungerechten Gesellschaft auseinandersetzen, indem man einfach sagt: „Hier, ihr habt alle eure Freiheit, ihr könnt tun, was ihr wollt, es wird keine Regierung mehr geben.” Man kann das nicht, weil die Leute nicht wüßten, was sie tun sollten. Sie würden sich gegenseitig bei lebendigem Leibe fressen, wie Tiere.

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