Underground und Symphonie-Orchester: Frank Zappa

By Rolf-Ulrich Kaiser

Pop, November 1968


Die amerikanische Gruppe THE MOTHERS OF INVENTION ist eine übel ausschauende Bande. Ihr Chef, Choreograph, Komponist, Texter, Kopf und Lead-Gitarrist, FRANK ZAPPA, macht da keine Ausnahme. Was ihn aber auszeichnet – und eigentlich sämtliche Mitglieder der MOTHERS-Horde – ist sein gutfunktionierendes Gehirn. Und nicht zuletzt auch eine gehörige Portion Musikalität! Diese seltsame Paarung von brillanter Intelligenz, naiv–hässlichem Aeussern und verblüffend musikalischen Fähigkeiten, gewürzt mit einem ordentlichen Schuss Ironie, hat den MOTHERS–Produktionen, ob auf Platte oder Bühne, einen ureigenen Stempel aufgedrückt. Einen Stempel. den sie wohl nie mehr loswerden. Denn was immer sie – vornehmlich ZAPPA – unternehmen werden, stets wird ihr Publikum ein Stück Sozialkritik, ein Fetzchen Verulkung oder ein Gramm Satire dahinter wähnen. Selbst wenn die rauhen Gesellen einzig eine vierzigminütige Instrumental-Nummer zum besten geben . . .

ROLF ULRICH KAISER, Veranstalter der «Essener Song Tage», sprach in Hollywood mit FRANK ZAPPA, kurz bevor die «Mothers of Invention» zu ihrer ersten Europa-Tournee starteten.

Kaiser: Francis Vincent Zappa, Ihre Platten gefallen dem Establishment nicht, das Establishment gefällt Ihnen nicht. Wie lösen Sie dieses Problem?

Zappa: Sie meinen die Taktik? – In den USA heisst der schnellste und sicherste Weg, etwas zu ändern, Infiltration. Ich glaube, dass blutige Aufstände auf der Strasse nirgendwo zu etwas Erfolgreichem führen. Vor allem nicht in den USA; denn man ist dort auf jede Art Aufruhr sorgfältig vorbereitet. Man hat keine Chance im Strassenkampf mit Polizei und Army. Und bloss, dass man ein paar Häuser niederbrennt, hilft nicht, die Sache voranzutreiben.

Kaiser: Was hilft?

Zappa: Wir müssen in die Positionen der alten Leute einsteigen und ihre Arbeit tun. Korrekt und in unserem Sinne.

Kaiser: Sie haben auf Ihre Art ist damit begonnen. Eigene Plattengesellschaft, eigene Produktionen, eigene Verpackung, eigenes Management. Zunächst, das Management . . .

Zappa: Unser Manager Herb Cohen hatte zunächst nur Folk-Musiker gemanagt. Unsere Musik ist aber etwas völlig anders. Als wir anfingen, hatte niemand jemals so etwas gehört. So wusste auch niemand, wie man das verkaufen sollte. Ich hatte aber meine klaren Vorstellungen.

Kaiser: Die wären . . .

Zappa: Ich wollte nicht, dass unsere Gruppe in der Art lanciert würde, wie es mit einer normalen Beat-Band geschieht. So fing ich an, mich um Planung und Verpackung unseres Materials zu kümmern. Wir durften die Werbung nicht den alten Leuten und ihrer Ideenlosigkeit überlassen.

Kaiser: Was war Ihre neue Verkaufstaktik?

Zappa: Normalerweise werden Rock’n’Roll-Gruppen in der Art verkauft: «Die grösste, fantastischste Rock’n’Roll-Gruppe seit Jahren», oder «die neuen Beatles», «die neuen Stones». Als wir anfingen, waren wir offensichtlich nicht besser als Jede andere Gruppe, und viele Leute fanden uns noch schlechter. Sie konnten nicht verstehen, was wir machten, sie machten unsere Musik nicht.

Kaiser: Wohl deswegen, weil Sie provozierten.

Zappa: Ja, sie möchten nicht, was wir über die Regierung und was wir über sie selbst sagten, und auch nicht die Art, wie wir die Lieder brachten. Deswegen versuchten sie, einfach zu übersehen, was wir taten. So zu tun, als ob wir nicht existierten. Wir haben sie dann aber unmissverständlich daran erinnert, dass es uns noch gab, und sogar einige Alben verkauft.

Kaiser: Sie haben dann für die Mothers in der USA-Underground-Press annonciert?

Zappa: Ja, wir sind irgendwie zusammen mit der «Underground Press» aufgewachsen. Es war schwierig, die Firmen dazu zu bewegen, dort für uns zu annoncieren. Andererseits trugen die grossen Platten-Anzeigen dazu bei, dass die «Underground Press» heute so gross geworden ist.

Kaiser: Bislang produzierten Sie für MGM. Die nächsten Platten erscheinen auf eigenem Label. Wieviele Firmen haben Sie?

Zappa: Ich besitze eine Firma, die «Intercontinental Absurdities». Dieser Firma gehören die Mothers, aber auch die N. T. & B., unsere Anzeigen-Firma an. Dann gibt es noch «Bizarre Productions», die Herb Cohen, unserem Manager, und mir gehört. Wir sind Partner. Weitere Firmentitel haben wir der Steuern wegen.

Kaiser: Machen diese Firmen die neuen Platten?

Zappa: «Bizarre Productions» wird die Platten der Mothers of Invention produzieren und verlegen, die wir im November herausbringen wollen.

Kaiser: Werden Sie unter diesem Etikett auch andere Gruppen produzieren?

Zappa: ja, wir werden voraussichtlich auch andere Gruppen produzieren, zum Beispiel zeitgenössische Musiker. Ich will auch elektronische Musik herausbringen, die kaum verlegt wird. Wir wollen eine Reihe von Platten produzieren, die ungewöhnlich sind und denen die bekannten Plattenfirmen keine Chance geben.

Kaiser: Ihre Musik ist von dem Experimental-Komponisten Edgar Varése beeinflusst. Haben Sie vor, ernste Musik mit den Mothers zu produzieren?

Zappa: Ja, wir arbeiten schon seit einem Jahr insgeheim daran.

Kaiser: Wollen Sie mit einem Symphonieorchester zusammenarbeiten?

Zappa: Ja, wir machen bald mit dem «Los Angeles Symphonieorchester» eine Aufnahme.

Kaiser: Aber Sie machen neuerdings auch Rock'n’Roll . . .

Zappa: Ich mag Rhythm-and-Blues, zum Beispiel Muddy Waters.

Kaiser: Sie haben eine grosse Rhythm-and-Blues-Plattensammlung.

Zappa: Ja.

Kaiser: Wieviele Platten?

Zappa: Etwa 800 Singles, 100 78er und 100 Langspielplatten.

Kaiser: Wie werden die einzelnen Gruppenmitglieder der Mothers of Invention bezahlt?

Zappa: Jedes Gruppenmitglied bekommt 200 Dollar pro Woche als Vorschuss. Damit sorgen wir dafür, dass jeder auch dann Geld hat, wenn wir keine Konzerte geben.

Kaiser: Die Mothers of Invention – wie ist es zu dieser Gruppe gekommen?

Zappa: Tja, vor langer Zeit war ich in der High School und sass dort mit dem Menschen herum, der eben Trompete gespielt hat – ich nenne ihn Mother Head [Motorhead] – und mit einem andern Freund von mir, der jetzt die Gruppe Captain Beefheart and his Magic Band leitet. Kennen Sie die Gruppe? – Ich ging mit ihnen also zur Schule, und wir sprachen dauernd davon, was wir sprachen dauernd davon, was wir machen würden, wenn wir von der Schule abgingen.

Kaiser: Die erste Band?

Zappa: Keineswegs. Wir brachten die Schule hinter uns und gingen alle verschiedene Wege. Durch irgend einen seltsamen Zufall jedoch kamen wir alle wieder zusammen. Unterhielten uns dann wieder über das Problem: Was sollen wir machen? Nun, eines Tages hatte ich genug und brachte die Suche einfach ins Rollen. Inzwischen hatten sich nämlich an anderer Stelle noch ein paar Leute wie zufällig getroffen und dasselbe durchdiskutiert, unser späterer Lead Singer, der Indianer, und Roy, der Bassist, zusammen mit ein paar anderen Leuten und der Gruppe «Soul Giants».

Kaiser: Wie kamen Sie mit ihnen ins Geschäft?

Zappa: Ein Gruppenmitglied hörte auf, ihr Gitarrespieler. Und sie kamen bei mir vorbei und fragten mich, ob ich nicht zu ihnen kommen wollte, um seinen Platz einzunehmen. Ich akzeptierte und spielte einige Zeit mit ihnen in ihrem Club. Und weil sich die Gruppe ganz gut anhörte, sagte ich: Lasst uns zusammenbleiben und Neues probieren.

Kaiser: Ging das alles so einfach?

Zappa: Das klingt nur so. Am Anfang haben wir alle Arten wirtschaftlichen Ruins mitgemacht. Hunger, Misserfolg, Rückschläge. Ungefähr ein Jahr lang. Dann haben wir schliesslich «Freak out» gemacht, unsere erste LP. Danach haben wir noch mehr gehungert. Erst seit einem Jahr haben wir genug zu essen und alle relativ bequem zu leben . . . Jeder hat sein Haus, eine Freundin, es ist alles okay.

Kaiser: Wieviele Platten haben Sie denn mittlerweile verkauft?

Zappa: Das ist schwer zu sagen, da wir bis jetzt noch keine genauen Abrechnungen bekommen konnten. Aber, ich glaube, ungefähr 800 000.

Kaiser: Hat Ihre Plattenfirma MGM Sie zensiert?

Zappa: Ja, ab und zu. Aber das ist jetzt vorbei. Wir arbeiten nicht mehr mit ihnen zusammen.

Kaiser: Gibt es Beispiele?

Zappa: Sie entfernten bestimmte Zeilen aus den Liedern, ohne mich deswegen zu fragen. Eine der Zeilen, die sie herausnahmen, war: «Ich erinnere mich noch an Mama mit ihrer Schürze, wie sie alle Mädchen und Jungen in Ed’s Café fütterte.» Ich weiss nicht, was sie daran schmutzig landen. Aber sie haben es herausgenommen.

Kaiser: Stimmt es, dass MGM dagegen war, die Texte Ihrer ersten Lieder zu drucken?

Zappa: Die juristische Abteilung fürchtete, dass sie vor Gericht den Kürzeren zögen, wenn irgend eine Hausfrau oder Mutter sich in einem Plattengeschäft über die Texte auf dem Umschlag beschweren würde.

Kaiser: Hat man versucht, den Sound der Band zu ändern, damit die Wörter schwieriger zu verstehen waren?

Zappa: Sie haben die Aufnahmen unverständlich gemacht.

Kaiser: Konnten Sie dagegen nichts unternehmen?

Zappa: Nein, denn wenn sie einmal das fertige Band haben, ist es aus meinen Händen. Dann verarbeiten sie es und machen die Platte daraus. Und davor können sie natürlich noch manipulieren.

Kaiser: Was für Erfahrungen haben Sie mit dem amerikanischen Radio und Fernsehen gemacht?

Zappa: Der amerikanische Rundfunk weigert sich im allgemeinen, unsere Platten zu senden. Es gibt nur wenige Stationen, die unsere Platten spielen, und auch dann nur sehr kurze Partien. Sie bringen nur die Lieder, die sie für sicher halten, die ziemlich bedeutungslos sind, die die Leute nicht aufregen oder stören oder politische Ideen verbreiten. All das wird nicht gesendet. Und beim Fernsehen ist das fast genauso. Wir haben sehr selten Fernsehauftritte.

Kaiser: Aber Sie hatten mal welche?

Zappa: Ja, zwei oder drei.

Kaiser: Lange Filme?

Zappa: Sie geben einem ungefähr sechs Minuten, die sie in zwei Teilen bringen. So hat man jeweils drei Minuten Spielzeit.

Kaiser: Also gar keine richtigen Shows, nur Augenblicke?

Zappa: Genau, sie geben einem bloss die Chance, mal kurz von den Leuten gesehen zu werden. Dann machen sie weiter und versorgen das Publikum mit dem, was sie für interessant halten. Langweilige Unterhaltung, bedeutungsloses Zeug.

Kaiser: Zum Schluss, Frank Zappa – möchten Sie Anarchist sein?

Zappa: Ja, zuhause, in meiner Freizeit, in meinen geheimen Gedanken. Aber ich bin auch praktisch veranlagt, und ich weiss, dass es nicht gehen würde. Eine Anarchie kann nicht funktionieren, wenn das Volk nicht vollkommen kultiviert und zivilisiert ist. Viele aber hungern noch. Wenn sie nicht nach Essen hungern, dann nach irgend einer emotionalen Hilfe, die sie nicht bekommen. Man kann aber nicht einfach sagen: «Hier, ihr habt alle eure Freiheit, ihr könnt tun, was ihr wollt, es wird keine Regierung mehr geben.» Man kann das nicht, weil die Leute nicht wüssten, was sie tun sollten. Sie würden sich vielleicht gegenseitig bei lebendigem Leibe fressen, wie Tiere.


On the same interview is based chapter "Nehmt den Alten ihre Macht: Frank Zappa", printed in book Das Buch der neuen Pop-Musik.