Frank Zappa's Mothers of Invention

By Christopher Sommerkorn

Concert 71, November 1971


„Er macht sich seinen dreckigen Reim auf die schmutzige Gesellschaft, ist die bissigste Beat-Laus, die sich die great society bisher in den Pelz gesetzt hat, und seine Undergrund-Oratorien liefern den genialsten und bösartigsten Kommentar zum American way of life und American way of politics, der je in Noten gesetzt worden ist.“

Uwe Nettelbeck

 

Auf eine kurze Formel kann gebracht werden, was Francis Vincent Zappa alles sein soll: zersetzend, giftig und genial – ein Bürgerschreck. Das zumindest ist der Ruf, der Zappa von Anfang an begleitet hat – und die Fama, die ihm nach wie vor vorauseilt. Missverständnisse sind da nicht zu vermeiden.

Frank Zappa, Jahrgang 1940: 1965 gründet der Gitarrist das, was man die erste elektronische Big-Band der Welt nennen könnte: die Mothers of Invention. Ein Jahr später erscheint das erste Album: Freak Out – die Missverständnisse konnten ihren Lauf nehmen.

Schon mit den ersten Platten wähnt die Musikkritik in den Mothers of Invention eine musikalische Revolution. Dabei hatten Frank Zappa und seine Mothers nichts anders „erfunden“ und praktiziert als – oft beschrieben, Liebgewordene, eingefahrene Hörgewohnheiten zu „zerstören“; sie griffen die akustischen heiligen Kühe der Amerikaner auf – vom Easy-Listening-Sound der sogenannten Unterhaltungsmusik über den Teeny-Bopper-Reck der Jungen bis hin zur Klassik, verfremdeten all das zu Bruchstücken, erfanden bizarre Harmonien, hatten eine Fülle bisher nie eingesetzter elektronischer Ideen. Verzerrer, Verstärker, Wah-Wahs und Synthesizer, aber auch der Einsatz der menschlichen Stimme transportierten Traditionelles ins Absurde und Lächerliche. All das ist oft gepriesen worden: die musikalischen Parodien und Geräuschcollagen, der differenzierte Rhythmus und das hohe musikalische Niveau lasten Frank Zappa den Ruf des musikalischen Genies an. Die Mothers of Invention werden zu einer Art Weltanschauung: Frank Zappa als der anarchistische Zerstörer von kleinbürgerlichen Plastikmythen der amerikanischen Mittelklasse wird bald selbst zum Mythos.

Daran hat Zappa, wenn auch vielleicht ungewollt, sicherlich mitgewebt, vor allem aber die Zeit ist es, in der die Mothers of Invention berühmt werden. Die Mitte und das letzte Drittel der sechziger Jahre sind es, als ein wachsender Teil der amerikanischen und europäischen Jugendlichen an der bestehenden Gesellschaft und Politik überdrüssig werden. Und diesen Überdruss artikulieren sie unüberhörbar: in Demonstrationen, Agitationen und phantasievollen neuen Protestformen, deren musikalisches Pendant die Fugs waren und die Mothers of Invention, Frank Zappa, zu sein schienen. Schienen: denn Frank Zappa fühlte sich nie bedingungslos als Mitglied des politischen Undergrounds. Eine solche Interpretation freilich war nicht so abwegig: seine ätzenden Texte, sein spektakulärer Protest gegen Boykott und Zensur der Schallplattenfirmen, indem er seine eigene Firma mit dem „Straight“-Label gründete; und nur zu oft präsentierte er sich selbst in Bürgerschreckspose – Zappa etwa auf dem Klo wurde als Poster schnell zur […].

Verhasstes Pathos

Aber während zum Beispiel Tuli Kupferberg von den „Fugs“ sich hemmungslos mit der „Gegenkultur“ identifiziert und zu einem ihrer Wortführer wird, kritisiert Zappa schon früh die Ideologie des sogenannten Undergrounds und dessen alsbald festgefahrenen Lebens- und Protestformen: „Es ist eine große Tragödie“, sagte er in einem Interview mit der „East Village Other“, „dass es den Underground gar nicht wirklich gibt, denn wenn es ihn gäbe, Mann, das würde die schon ziemlich erschrecken. Die meisten Leute, die angeblich Teil des Undergrounds sind, sind sehr feige ... und dumm. Alles ist so oberflächlich. Idioten. Wenn die Typen, die glauben, sie seien im Underground, auch nur für 3 Pfennig so viel Hingabe hätten wie die im feindlichen Lager …“

Darauf kommt Zappa immer wieder zu sprechen: auf die realen Machtkonstellationen. Seine scharfe Kritik an der Gesellschaft hält ihn aber nicht ab vor der Kritik an denen, die sich gegen diese Gesellschaft entschieden haben: „Die Leute and der Macht … sieh die dir an, die sind so wohlhabend und einflussreich, und die Armee verfügt über alle Mittel gegen dich, genau wie Polizei. Es ist aussichtslos, mit einem Stock oder einem Molotow-Cocktail in der Hand auf die Straße zu gehen und sagen: „Hier ist die Revolution“. Das ist einfach unsinnig. Man kommt nicht gewaltsam gegen die herrschenden Zustände an. Die einzige Möglichkeit ist von innen heraus zersetzend zu arbeiten.“ – Von Zappa wurde oft verlangt, dass er Alternativen aufzeigt. Wenn überhaupt, dann ist das die Einzige, die er akzeptiert. Revolutionäres als auch jedes andere Pathos ist Ihm verhasst – aber muss man das noch demjenigen sagen, der jemals seine Musik gehört hat …“

Die Enttäuschung denen, die – aus Missverständnis – Zappa zu einer politischen Praxis bewegen wollten schlug manchmal um in Aggression. So zum Beispiel geschehen in Berlin 1967, als Zappa zum erstenmal eine Tournee durch Deutschland macht und von Studenten aufgefordert wird, ihnen bei einer politischen Aktion zu helfen. Zappa lehnt ab – die Mothers werden als „Mothers of Reaction“ beschimpft, weil Zappa die praktische Einlösung seiner Musik und Texte in eine Praxis verweigert, die ihm unsinnig erscheint, weil sie, so Zappa, „bloße Bemühung bleibt und deshalb einfach unsinnig ist und niemandem hilft.“

Obermutter

Zappa zu Zappa: „Früher war ich ein ziemlich spießiger Teenager – wie alle anderen auch. Ich unterschied mich nur insofern von dem anderen Jungen meines Wohnblocks, dass ich immer zu Hause blieb und mehr oder weniger schmollte – weil mir meine Eltern nicht das Auto kauften, das ich haben wollte.“ Man kann es sich vorstellen ein individualistischer Eigenbrötler, zwar nicht isoliert von den anderen Jugendlichen, aber eben doch misstrauisch beobachtet von denen, die sich in naiven Spielen oder in halbwüchsigen Gangs zusammenschlossen – Zappa aber auch schon zu der Zeit wenig geeignet oder willens zur Kooperation war. Mag sein, dass hier schon die Wurzel dafür liegt, dass moderne Forderung nach einem kollektiven Zusammenspiel in der Gruppe vergeblich sein müssen. Zappa führt an, zweifellos. Deswegen wird er von der Kritik als Karajan der Rockmusik apostrophiert – weil er seinen Mitspielern als Obermutter wie ein Orchesterleiter vorsteht. Um das komplizierte Zusammenspiel zusammenzuhalten oder um Distanz zu wahren? Zumindest aber gestattet ihm diese Position ausgedehntere Improvisationen und Soli als die seiner Mitspieler.

Auf jedem Fall: diese Stellung hilft verhindern, was bei Zappa eigentlich nie oder nur geplant auftritt: das Zufällige. Sein intellektuelles Kalkül gestattet keine Zufälligkeiten, noch das scheinbare Chaos ist bei ihm sorgfältig geplant. Ob ihm freilich dieser Perfektionismus in Zukunft noch neue Möglichkeiten offenlässt – immerhin hat Zappa schon 12 Alben veröffentlicht, in denen er sich fortlaufend treu geblieben ist – muss man abwarten. Wegen dieser Beständigkeit wurde gerade in Amerika nach dem Erscheinen seiner Life-Aufnahme, die ein Konzert im New Yorker Rocktempel Fillmore East wiedergibt, Kritik geübt. „1967“, so kommentiert es die Musikzeitschrift „Rolling Stone“, „waren wir nur zu bereit, auf Zappas Geheiß unseren Horizont zu erweitern. Jetzt aber muss man leider sagen, dass man all das schon zu oft gehört hat.“

Querschiesser

Wie auch immer Zappa wird wohl nie das werden, was viele in ihm immer sehen wollten – nur, weil er so gekonnt die normierten Verhaltensweisen des Durchschnittsbürgers provoziert und parodiert. Nie wird er eine Idolfigur des politischen Underground-Agitators, mit Schaum vorm Mund und dem Kopf voll heißer Ziele: dazu ist Zappa sich offenbar viel zu sehr selber verpflichtet, ist sein Spiel zu raffiniert und sein Witz zu intellektuell, sein Sarkasmus und die Späße sind kompliziert, verbogen, wenig gradlinig. Ein Querschiesser in jede Richtung, Frank Zappa, ein liberaler Anarchist.

Wie gesagt: nur einem, sich selber verpflichtet. Insofern hat sich Frank Zappa nicht verändert. Frank ist a mother. Nach wie vor. Wie lange noch?