Der Egotrip der Rock-Zeit

By Rolf-Ulrich Kaiser

Rock-Zeit, 1972 [1]


Frank Zappa hat die »Mothers of Invention« gegründet, aufgelöst und mit weitgehend neuen Leuten neu gegründet. Er hat für seine Band und sich von Beginn an ein festes Image geschaffen, das zwischen »bizarre« und »ugly« schwankte. Nach den ersten drei Jahren, in denen Zappa im Rahmen der Gruppe arbeitete, trat er stärker in den Vordergrund; die Band diente ihm nur noch als Orchester, das seine Kompositionen spielt. Dazu habe ich ihm in dem folgenden Intervieweinige Fragen gestellt.

Du hast früher von den »plastic people« gesungen. Was hat »plastic« bedeutet?

Zu der Zeit, als wir dieses Lied aufnahmen, 1967, meinten wir damit ganz bestimmte Leute in Los Angeles. Dann wurde der Begriff allgemein gebraucht. Nun benutzen ihn viele für nahezu all das, was sie nicht mögen.

Was bedeutet »plastic« heute für dich?

Ich benutze diesen Ausdruck nicht mehr.

Welchen Begriff benutzt du statt dessen?

Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken. Es hat keinen Sinn mehr, sich dafür herzugeben.

Du hast viel über »Groupies« gesagt und besitzt eine umfangreiche Sammlung von Material, die irgendwann als Buch erscheinen soll. Sind Groupies »plastic«?

Für mich nicht.

Was bedeuten sie für dich?

Sie können dem Musiker ein wenig Erholung geben, wenn er auf Tournee ist.

Sie gelten als so was wie »emanzipiert«.

Einige sind es, andere nicht. Jeder ist eine andere Person.

Sind sie deiner Meinung nach emanzipiert?

Die Mädchen, mit denen ich Kontakt habe, sind in der Regel emanzipiert.

Sind sie ein Prototyp des emanzipierten Mädchens?

Einige mehr als andere.

Aber sie kommen zu dir, weil du so was wie ein Idol bist!

Nein, das stimmt nicht.

Da bist du ganz sicher?

Ja.

Also, das Problem der Emanzipation. Auf welche Weise?

(Denkt lange nach.) Ich glaube, da gibt es keinerlei Lösung, die ich anbieten könnte und die einer großen Zahl von Leuten nützen würde. Das ist ein persönliches Problem. Jeden hindert was ganz Bestimmtes daran, sein eigenes Leben zu führen. Es gibt verschiedene Probleme und verschiedene Wege, sie zu lösen.

Was ist deine persönliche Lösung?

Ich habe mich damit gründlich befaßt, als ich achtzehn Jahre alt war. Mittlerweile habe ich es vergessen.

Einige Teile des Programms der Mothers of Invention handeln von gesellschaftlichen Problemen. Stehen sie in einer Beziehung zum Problem der Emanzipation? Zeigen sie Lösungen?

Vielleicht. Ein Beispiel ist die Art, wie wir auf der Bühne, im Konzert musikalisch arbeiten. Wir haben feste Arrangements für bestimmte Lieder. Oft aber weiche ich davon ab und lasse dann andere Sachen passieren. Und wenn ich dann die Arrangements unterbreche, sind die Musiker plötzlich frei – frei für ihre Imagination.

Vor nicht langer Zeit erklärtest du noch, du würdest auf die Texte verzichten. Mittlerweile haben sie wieder einen beträchtlichen Anteil im Gesamtprogramm. Warum?

Das liegt daran, daß wir jetzt zwei Leute haben, die sie singen können.

Wen?

Mark (Volman) und Howard (Kaylan) von der Popgruppe »The Turtles«. Sie sind gute Sänger. Deshalb werde ich auch neue Lieder schreiben, anstatt unsere alten Songs zu verwenden.

Sind die neuen Mothers of Invention eine neue Gruppe?

Die Struktur beider Gruppen, der alten und der neuen, ist sehr verschieden. Es gibt ein gemeinsames Motiv, grob definiert, nämlich daß beide Bands für das Publikum mehr tun wollen, als es nur zu unterhalten. Das gilt also für beide Formationen. Die erste Gruppe aber war musikalisch nicht so perfekt wie die neue; wir haben bessere Spieler und Sänger, die auch irgendwie ihre Arbeit mehr zu mögen scheinen.

Warum benutzt ihr so viel altes Material in eurem Programm?

Wenn wir auf die Bühne gehen und die Leute wissen, die Mothers of Invention kommen, dann erwarten sie, daß wir einige der Songs bringen, durch die wir berühmt sind. Deshalb spielen wir »Call Any Vegetables« und »Mother People«. Ansonsten aber sind die Stücke neu arrangiert und kaum mit den alten zu vergleichen.

Aber die Texte sind die gleichen geblieben?

Gewiß. Wir benutzen aus gutem Grund die alten Texte, ohne sie zu verändern. Songs wie »Mom & Dad« sind immer noch aktuell.

Du hast die alten Mothers of Invention gegründet und die neue Formation und zwischendurch die Hot Rats gehabt. Viele Musiker haben deine Kompositionen gespielt. Kaum etwas anderes. Sie können ihre eigene Musik nicht spielen.

Wenn sie wirklich ihre eigene Musik spielen wollten, würden sie es tun. Oder?

Könnten sie es?

In unserer Band?

Ja.

Nein, das geht nicht. Manchmal spielen wir die Kompositionen von anderen Leuten. Aber das sind Ausnahmen. Ich habe die Gruppe zusammengestellt, damit ich eine Gelegenheit habe, die Stücke zu hören, die ich schreibe. Das gilt für jeden anderen in der Band in ähnlicher Weise. Wenn er was schreibt und es hören will, dann muß er das gleiche Problem für sich lösen und sich dafür eine Band beschaffen. Ich sehe die Gruppe als eine Art Orchester. Sie hat das Potential eines Orchesters. Ich benutze sie als ein Orchester, das meine experimentellen Kompositionen spielt.

Ist das nicht eine Art Egotrip?

Nein, nicht unbedingt. Ein Beispiel: Gab es nicht einen Komponisten mit dem Namen Haydn, der ein ganzes Orchester zu seiner Verfügung hatte? Und immer wenn er etwas geschrieben hatte, konnte er es hören. Denn nur, wenn du es hörst, weißt du, was du schreibst. Mir steht in den USA und auch nicht woanders kein Orchesterzur Verfügung, es sei denn, ich miete es und bezahle dafür. Ist man aber ein Komponist und will man dabei noch leben, dann braucht man in der Regel noch nebenher einen Job, der mit der Musik nichts zu tun hat. Es ist hier sehr schwierig, allein durch Komponieren genug Geld zu verdienen. Man muß also außerdem noch etwas anderes tun. Das mag ich nicht. Das verstehst du. So war die einfachste Lösung, eine sich selbst tragende Musikgruppe zusammenzustellen, die nichts kostet, aber alle Möglichkeiten bietet, die ich brauche.

Während der letzten Jahre hast du dich auch mit anderen Medien außerhalb der Musik beschäftigt.

Ich habe mich immer für Film und visuelle Medien interessiert. Schon während meiner Schulzeit habe ich als Grafikergearbeitet. Seit 1958 beschäftige ich mich mit Film. Und jetzt erst habe ich die große Gelegnheit, alle meine Pläne in Form von (Spiel-)Filmen zu realisieren.

Warum arbeitest du multimedial?

Ich bin daran grundsätzlich sehr interessiert und will meine Talente auch in dieser Hinsicht soweit wie möglich nutzen.

Aber immer müssen die Leute, mit denen du arbeitest, das realisieren, was dir vorschwebt.

Das stimmt. Sie werden dafür bezahlt.

Und es gefällt ihnen?

Manchmal ja, manchmal nein. Aber sie können ja immer weggehen.

Was gibst du nun mit all dieser menschlichen und technischen Hilfe deinem Publikum?

Ich gebe ihm die Gelegenheit, an meiner Phantasie teilzuhaben.

Und das ist genug?

Es mag noch andere Vorteile geben.

Für dich arbeitet eine ganze Reihe verschiedener Manager. Wer alles zum Beispiel?

Herb Cohen ist mein Partner. Er kümmert sich um die Gruppe und um unsere Konzerte und Jobs. Dick Barber ist unser Road Manager. Er sorgt für die Ausrüstung und den Transport der Geräte und der Gruppe. Wir haben einen Public-Relation-Repräsentanten in Europa. Ein Agent in den USA vermittelt uns Jobs. In Europa arbeiten wir mit Veranstaltern in Deutschland, Skandinavien und Großbritannien zusammen.

Sind alle diese Manager notwendig?

Sie wären nicht notwendig, wenn ich Zeit genug hätte, alles selbst zu tun. Aber erstens bin ich an derartiger Arbeit überhaupt nicht interessiert, und zweitens habe ich dazu keinerlei Zeit. Wenn ich so viel Zeit wie Herbie am Telefon verbringen müßte, wäre ich gar nicht mehr in der Lage, irgendeine Melodie zu komponieren oder irgendeinen Text zu schreiben.

Ist dieser Apparat bereits so etwas wie eine Maschine?

Well, ich würde nicht von einer Maschine reden. So automatisch läuft das alles gar nicht. Es gibt so viele Probleme, um die ich mich immer noch kümmern muß.

Aber zwischen dir und der Realität ist dadurch eine Art Mauer aufgebaut. Viele Leute, die von dir etwas wollen, werden gar nicht mehr an dich herangelassen.

Das ist notwendig. Denn die öffentlichkeit sieht mich falsch. Nehmen wir die Konzerte in Liverpool und Manchester. Die Leute sehen mich dort nur einmal und nehmen an, die ganze andere Zeit sitze ich zu Hause herum, mache Urlaub, genieße eine Million Dollar und erhole mich auf einem freundlichen Sommersitz. So ist es aber nicht; ich arbeite die ganze Zeit. Diese Zeit will ich nicht mit allen möglichen geschäftlichen Dingen vertun, sondern sie für Projekte nutzen, die mich interessieren. Und es gibt immer noch genug Gelegenheiten, bei denen mich die Leute sehen und sprechen können, ohne daß sie von den Managern daran gehindert werden. Meistens aber bin ich an ihnen gar nicht so sehr interessiert. Ich habe einfach zuwenig Zeit und kaum Zeit für sie. Selbst nur am Telefon zu hocken und ihre Anrufe abzuwimmeln würde mir viel zuviel Zeit stehlen.

Entsteht so nicht eine Mauer zwischen dir und dem Geschäft auf der einen und der Realität auf der anderen Seite?

Warum sagst du, ich sei von der Realität getrennt? Ich glaube, meine Realität ist dieses häßliche Bett, auf dem ich sitze, während ich dieses Interview gebe, der Koffer da, das Essen, was wir gerade mit der Gruppe hatten. Das ist doch genug Realität für mich.

So gesehen schon. Nur bringst du dem Publikum eine Musik, die als Musik und auch durch die Texte, wie du sagst, mehr als unterhalten will. Wenn du aber nun von der Realität der meisten Zuhörer getrennt bist ...

Ja, ich bin nicht in ihrer Realität. Ihre Realität besteht aus der täglichen Arbeit, aus ihrem Leben. Nimm jemanden, der in einem Büro arbeitet. Das ist seine Realität. Eines Abends geht er in ein Konzert, um die Mothers o f Invention oder was anderes zu sehen. Er will dann eine andere Realität erleben, unsere Realität. Er will dort nicht die Realität seines Nachbarn sehen. Den kann er die ganze Zeit betrachten. Dafür braucht er nicht ein Konzert zu besuchen.

Sucht er eine Illusion?

Nein, keine Illusion. Nur etwas, was sich von seinem eigenen Leben unterscheidet. Neugier ist ein wichtiger Grund dafür, daß die Leute in ein Konzert gehen. Dort suchen sie: etwas Ungewöhnliches.

Das Ungewöhnliche bringen die Popgruppen, die alle in der ähnlichen Situation sind. Sie bauen also, wie du sagst, eine andere Realität auf (die ich Illusion nenne) und sind von der Alltagsrealität wie auch von einer darüber hinausreichenden, größeren Realität getrennt ...

Laß mich dazu etwas sagen. Die Trennung, von der du sprichst – die Trennung zwischen der Art, wie ich lebe, und dem, was ich tue, und dem Publikum ist für mich nichts Neues. Ich habe so schon gelebt, bevor ich überhaupt Popmusik gemacht habe. Ich verhalte mich heute nicht anders als vor zehn Jahren. Damals hatte ich nur zu wenigen Leuten Kontakt, zu den meisten keinen.

Aber auch damals wirst du einen direkteren Kontakt zu anderen Menschen, Nachbarn und Bekannten als heute gehabt haben. Denn jetzt ist diese Maschine das Business. Ich war drei Tage mit dir auf der Tournee, und ich habe viele Situationen erlebt, in denen Leute mit nicht unwichtigen Problemen und Projekten nicht zu dir durchdringen konnten. Die Maschine stand dazwischen ...

Ich glaube, du gebrauchst das Wort Maschine ein wenig zu romantisch und zu demagogisch.

Okay, nenn es anders. Auf jeden Fall gibt es mittlerweile einen Apparat, mit dem du arbeitest, dessen Funktion du aber zu werden drohst, ohne daß du es richtig merkst.

Wahrscheinlich besteht die Gefahr, daß ich zuweilen Funktion der »Maschine« werde. Aber zunächst einmal: Gibt es einen anderen als den gegenwärtigen Weg? Denn ich wiederhole, meine Zeit ist schon viel zu gering. Wenn ich aber keine Zeit für die kreative Arbeit an meinen Projekten habe, dann kommen sie nicht voran. Ich gebe gerne Interviews und sage meinem Presseagenten, wieviel Zeit ich dafür erübrigen kann. Er verteilt die Zeit dann entsprechend an die wichtigsten Journalisten. Das ist für mich eine Hilfe, mehr nicht. Und das ist gar nichts Mysteriöses oder Mystisches, kein Showbiz, sondern einfach etwas Praktisches. Und es ist notwendig. Der Tag hat nur 24 Stunden. Wenn möglich, schlafe ich davon acht Stunden. In der restlichen Zeit möchte ich soviel wie möglich von meinen Ideen realisieren. Um ein Konzert zu geben, bedarf es einer Menge Vorbereitungen. Proben, Reisen, Hotel, Essen. Das ist die eine Art von Problemen, denen ich nicht entgehen kann. Daneben aber muß ich weiter komponieren und meine anderen Projekte, die Filme zum Beispiel, voranbringen. Und alles zur gleichen Zeit.

Und das Ergebnis: Entfremdung gegenüber denen, für die du ja letztlich arbeitest, deinen Zuhörern?

Meine Arbeit ist der einzige Kontakt, den ich zu ihnen haben kann.


1. This interview was published as chapter in the book Rock-Zeit. The place and date of the interview are unknown, probably Los Angeles, 1970.

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