Mit Schneewittchen und den 7 Zwergen auf Yurrip-Expedition
By Urban Gwerder
Zappa-Spezialist Urban Gwerder war mit Zappa und seiner verrückten Truppe unterwegs.
Hier berichtet er für POP unter dem Titel:
Mit Schneewittchen und den 7 Zwergen auf Yurrip-Expedition
Mit «Yurrip» ist natürlich Europa gemeint – das ist schon ganz typisch Zappa – und alle Mothers sowie die übrige feste Reisegesellschaft haben gedruckte Stoffkleber mit der Aufschrift «ZAPPA! MOTHERS YURRIP 73» an ihren Gepäckstücken. Es ist erstaunlich zu sehen, was es alles braucht, um eine Tournee durchzuführen – noch erstaunlicher aber, mit wie wenig (aber effektiven) Aufwand dies bei Zappa geschieht (im Gegensatz zu Top-Popgruppen, die mit einem Aufgebot von 30 bis 50 Roadies und Tourneebegleitern aufkreuzen). Ausser der Band sind dabei: Der legendäre «Master of Bizniz» und Manager Herb Cohen sowie der clevere und beharrliche Tour-Manager Martin Perellis (der, kaum in einer fremden Stadt angekommen, schon deren Plan im Kopf hat – und der zwischenhinein immer wieder Bandmitglieder und Roadies abwimmeln muss, wenn sie ihn zu oft um Vorschuss oder Spesengelder in den verschiedensten Währungen angehen), dazu kommen 6 auserlesene Roadies (von denen vier für die Bühne und das Equipment verantwortlich sind und die anderen beiden jeweils über Nacht per Sattelschlepper die gesamte Anlage zum Ort des nächsten Konzertes transportieren), darunter die beiden von Schallplatten her bekannten Tontechniker Paul Hof und Kerry McNabb, und zuguterletzt Zappas sympathischer und gemütlicher Leibwächter (was doch irgendwie vernünftig scheint nach dem unliebsamen und recht gefährlichen Erlebnis im Rainbow Theater in London vor zwei Jahren). Manchmal sind noch dabei: die Frau von Cohen, eine Freundin oder ein Begleiter Zappas oder Frank's Frau Gail.
Las Madres
Eine herzliche und lustige Gesellschaft, stets zu Spässen bereit, aber sehr ernsthaft, wenn es darauf ankommt. Das machen vor allem die neuen Mothers of Invention aus: Der permanente Spassmacher in der Gruppe ist George Duke. Wenn alle müde sind oder sonst wie etwas gedämpfte Stimmung herrscht, hat George immer etwas zum Lachen auf Lager und plaudert drauflos ... dauernd kommen ihm Lieder in den Sinn und damit erlebte Geschichten. Und wenn der als Jazzmusiker schon recht bekannte George Duke nicht gerade im Konzert an seinen Tasten operiert (Flügel, elektrisches Klavier, Hammondorgel und Synthesizer) sich auch dabei verrenkt und Faxen schneidet – dann mimt er eben sonst Instrumente und trällert vor sich hin. Neuerdings singt er auch (und gut), was dann die übrigen Bandmitglieder gern dazu anregt, über seine «süsse Knabenstimme» zu witzeln, oder aber auch ihn selber dazu veranlassen mag, sich bei Frank zu entschuldigen, weil er wieder einmal ein Wort im Text verwechselt hat, oder es gar ganz vergass und dann improvisierte.
Der berühmte französische Jazzgeiger Jean-Luc Ponty, jetzt schon fast ein Jahr mit Zappa unterwegs, ist auf der Bühne ein richtiger kleiner Teufel – hinter den Kulissen aber spielt er manchmal den Clown, mit eigenem «europäischem» Humor und viel «französischem» Charme. Weil es mit seinem kuriosen Englisch zwischen-hinein etwas hapert, greift er gelegentlich zu mimischen Ausdrucksmitteln, indem er beispielsweise echt überzeugend und situationsbewusst wie ein völlig Betrunkener über die Bühne torkelt (ohne Kabel und Instrumente umzureissen, wirklich gekonnt), oder indem er seinen Geigenkoffer wie eine Monstranz vor sich hinhaltend als katholischer Ministrant durch den Bus zu seinem Platz schreitet. Jean-Luc sagt, ihm hatte die Arbeit mit Zappa in jeder Hinsicht gut getan, er hätte sich sehr befreien können, endlich Abwechslung gefunden und einfach viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten gehabt, als dies hier in Europa für ihn der Fall gewesen sei.
Der Stillste unter den Müttern ist der Schlagzeuger Ralph Humphrey, der perfekt mit den komplizierten Zeitwechseln in Zappas Musik umgehen kann – aber auch er hat den Schalk im Nacken: Mitten in einem angefangenen Break oder Solo bröckelt er einfach (unerwartet?) ab ... eine sehr kurze, leicht komische Stille entsteht, in die dann Zappa auch ein paar spitzige, abgebrochene Gitarrenklänge wirft … und daraus ein amüsantes Duell Gitarre-Schlagzeug macht! Weil Ralph an seinem Schlagzeug auch Kuhglocken hat, verfolgte er aufmerksam aus dem Busfenster, was die Schweizer Kühe um den Hals hatten ...
Anders dagegen sind die Gebrüder Fowler, beides sehr ernsthafte Musiker und jeder mit einer recht eigentümlichen Art von Humor ausgestattet. Einmal während des Essens mit ein paar Leuten von der Gruppe und den beiden Tontechnikern erzählte Zigarrenliebhaber und Bassist Tom Fowler von seinem Verhältnis zur Bassgitarre, vom Spielen, von Schwierigkeiten und wie er daran übt. Dabei kam er darauf zu sprechen, wie er manchmal so gute Ideen aus dem Instrument beziehe, dass er Lust hätte, ein Solo zu spielen. Paul bemerkte dazu, er müsste eben einen Helm, eine Art «Denkkappe» haben mit einer Lichtschrift, die im gegebenen Augenblick aufleuchten würde: «Solo! Solo!». Und siehe da: Eine Woche später in Wetzikon lässt Frank Tom allein spielen, was ihm grad in den Kopf kommt, und die Band steigt dann darauf ein ... sage mir einer, Zappa hätte keine Antennen!
Bruce Fowler macht eine grandiose Figur auf der Bühne: Hampelmannartig bewegt er sich herum, schüttelt seine Haare und runzelt seine Stirne, wenn er voll in die Posaune bläst und sich damit herumschwingt ... wie ein Musikclown aus alten Zeiten. Und wenn er Wahwah-Posaune spielt, ist er grossartig. In Freiburg hat er sich vor dem Konzert im Foyer die Lippen «eingespielt» – ohne Instrument natürlich. Das hat dann auch reichlich komisch ausgesehen, wie er da herumlief und ihm der Speichel von den Lippen in den Bart rann ... und die Mädchen buchstäblich vor ihm Reissaus nahmen.
Was der Band die Krone aufsetzt, sind die Underwoods ... der Multi-Instrumentalist Ian Underwood, einzige übriggebliebene Ur-Mother nach so vielen Jahren, und seine Frau, Ruth Underwood, früher (nach ihren eigenen Worten) Zappa-Groupie Nr. 1, jetzt Beherrscherin einer grossangelegten Percussion-Küche – die First Lady in the Mothers. Die Underwoods sind ein reizendes Paar, liebenswürdig, aufmerksam, bescheiden. Ian ist ein feiner, hervorragender Musiker auf allen Arten von Saxophonen, Klarinetten und Flöten – ausserdem spielt er Synthesizer und ist ein guter Interpret klassischer Musik am Klavier. Wenn Frank nicht da ist, dann ist Ian der Mann, der die Proben leitet. Er erzählte mir in seiner selbstverständlichen, offenen Art, dass er eigentlich viele andere musikalischen Interessen und eigene Vorstellungen hat – diese aber gerne zurückstelle, weil Frank's Werk einfach das vielseitigste und interessanteste Kunstwerk sei, an dem teilzuhaben es sich lohne – das einzige, an dem er mitarbeiten wolle. Auch Ruth hat Musik studiert und ist immer eine grosse Verehrerin von Zappa’s Werk gewesen. Ihr Spektrum reicht von Vibraphon, Marimba über Bongos und Gong bis zu Tympani (das im Konzert manchmal von Frank übernommen wird). Basstrommeln und Kesselpauken – sie hat in Wetzikon mit einem interessanten Solo auf allen Instrumenten im Kreis überrascht. Dabei ist sie (vor allem wahrscheinlich aus Bescheidenheit) eigentlich immer etwas unsicher, weil sie das erste Mädchen in der Band ist. Ständig fragt sie sich, ob sie auch wirklich gut genug sei. Einmal habe ich ihr in einem Laden an der Grenze eine riesige Toblerone Schokolade geholt. Sie ist darüber völlig aus dem Häuschen geraten und damit im Bus herumgetanzt. Franks Kommentar: Ein richtiger Jimi-Hendrix-Schokoladenstengel!
Die Mothers der diesjährigen Tournee erinnern mich von der Stimmung und Ausstrahlung her an die Mothers von l969, der Gruppe, die «Electronic Chamber Music» spielte. Aber sie sind noch fähigen. Die vielseitigste Band, die Zappa bis jetzt gehabt hat – und meiner Meinung nach sicher die interessanteste Formation in der gegenwärtigen Musik überhaupt.
Die Reissverschluss-Schau
Auffällig viel Sorgfalt wird auf die Sound-Checks verwendet – erst am Nachmittag vor dem Konzert und dann noch einmal bei Beginn, wenn Zappa seine Leute und ihre Instrumente vorstellt. Alle Auftritte werden über die Mischpulte aufgenommen, und Frank erhält die Kassetten davon unmittelbar nach dem Konzert. Damit wird ständig gearbeitet – unterwegs hören sich die Mothers (im Bus oder Flugzeug) an, was sie gespielt haben und sprechen darüber: Eine gute Lernmethode. Zappa und die Mothers sind ernsthaft bemüht, immer ihr Bestes zu geben.
Frank Zappa komponiert mit Feder (damit schreibt er seine Texte und Noten), Rasierklinge (um Bandaufnahmen zu zerschneiden und neu zusammenzusetzen), Handsignalen (mit denen er die Band dirigiert, sie zu jedem möglichen Wechsel veranlassen kann und choreographische Bewegung ins Ganze bringt) und «Instant-Anrennen» (mit denen er Ausstrahlung, Erlebnisse und Situationen aufnimmt und gleich umsetzt und einbaut) – auf diese Weise kann er sein «Gesamtkunstwerk» ständig kontrollieren, ändern, entstehen lassen. Damit ist er nicht limitiert auf eine einmal verfasste Form davon. Er ist darum live ein richtiger Environment-Künstler. Beispiele illustrieren das.
Situation: In Freiburg war es ziemlich heiss im Saal, und Frank zog sein Hemd aus. Das Publikum reagierte gleich darauf mit Lachen, Rufen, Klatschen. Frank führte einen kleinen Bauchtanz vor, sagte: «Etwas Sex ist, was diese Band noch braucht», drückte sich seine nackte Brust und machte unflätige Geräusche dazu – und gleich ging’s weiter mit Musik.
Variation: In Offenbach hingen Plakate des kleinen 15jährigen Gurus, der jetzt überall Furore macht. Frank sah das und machte gleich eine ausführlichere Einleitung zu seinem gelungenen kritischen Guru-Kult-Lied «Cosmic Debris»: «Habt ihr die Karriere dieses wunderbaren l5jährigen Gurus verfolgt, Leute?», dann erzählte er etwas von den Business-Allüren desselben und weiter: «Are you hip to the guru? ... Well, this song is dedicated to the guru ... for me and you ... and you know who» und los gings.
Instant-Art: In der Garderobe nach dem Konzert in Wetzikon kam Spassvogel George mit einer Jacke an, die voller Reissverschlüsse war für alle Arten von Taschen usw. Er stellte sich vor, wie die Teenager kreischen würden, wenn er einen nach dem anderen aufmachen würde. Er erzählte das so lustig (und mimte dazu), dass sich Frank vor Lachen nicht mehr halten konnte – und dann beschloss, das müsse gleich aufgeführt werden. Prompt kündigt Frank drei Tage später in Offenbach an: «Und jetzt die Welt-Premiere von «The Zipper ...» tut so, als ob ihr hingerissen wäret und kreischt bei jedem Reissverschluss ... und wir werden ein richtiges Rock’n’Roll Konzert haben ... also, George, Zipper Nr. 1!» Das ging von Zipper 1-5, und immer kreischte das vergnügte Publikum, das den Witz verstanden hatte. Dann, beim letzten: «Seid ihr bereit für den grossen? ...»‚ und: «Ich möchte nicht verhaftet werden in Deutschland ... dreh dich lieber um, George».
Der augenzwinkernde Maestro
Frank ist eine sehr starke Persönlichkeit, und nicht viele Leute sind ihr gewachsen. Seine besondere Art von Humor und seine ständige Präsenz ist einfach zuviel für die meisten. Er ist ein Aussenseiter und Einzelgänger, sehr von seinem Werk in Anspruch genommen. Gute Ideen oder interessante Arbeiten anderer weiss er zu schätzen und hat Respekt dafür. Manchmal ist ein leichtes Kopfnicken, heben der Brauen oder ein Augenzwinkern das einzige Anzeichen dafür, dass «man angekommen ist», dass man uns Schwarze getroffen hat. Von seinen Mitarbeitern verlangt er fast soviel Hingabe, wie er selber mitbringt – schliesslich handelt es sich um sein Werk, für das er einsteht. Einige halten das nicht gut aus, sie werden unsicher ... und oft gehässig.
Zu all den Vorwürfen, die von Nektar (siehe Kasten [1]) jetzt nach der Tournee erhoben werden, kann ich nur so viel sagen: Ich war eine Woche lang dabei (immer mit Zappa und Mothers im gleichen Hotel, im gleichen Bus oder Flugzeug usw.) und habe als sicher aufmerksamer Beobachter von all dem nichts bemerkt, gesehen oder gehört ...
Es erstaunt mich auch nichts mehr: Ich habe Interviews mit Zappa gelesen aus der Feder von Leuten, die nie mit ihm gesprochen hatten.
Dafür geschahen andere unrühmliche Dinge: Nach dem Konzert in Freiburg waren die Restaurants schon geschlossen und für die milden und hungrigen Mothers auch im Hotel nichts vorbereitet. Mit einigen suchte ich dann noch während einer halben Stunde in der Stadt herum nach einem Lokal, das länger geöffnet war. Am anderen Morgen war frühe Abreise. Aber die Mothers nahmen es mit Gelassenheit, und Frank sagte mir: «Wir erleben Schlimmeres ...». Das scheint glaubhaft. Franks improvisierte Gastfreundschaft, die guten Gespräche in seinem Hotelzimmer, seine Spässe unterwegs ... all dies würde einen gesonderten Aufsatz ergeben. Doch viel von den besten Dingen im Leben bleiben ohnehin «inside», unter den paar Leuten, die es miterlebt haben. Das ist übrigens eine der Quellen, woraus Frank Zappa schöpft und via sein Werk andere am Vergnügen teilnehmen lässt. Wahre Geschichten ...
1. Zappa's warm-up band in this tour was Nektar. Nektar's musicians had many complaints to FZ, included in article "Klassengesellschaft bei Zappa?" (Class society at Zappa?), printed right next to this article in a box, Pop, December 1973.