Sturm im Wasserglas
By Enno Warncke
Ein Hauch von Rebellion umgibt den Amerikaner Frank Zappa. Deftige Skandale und Obszönitäten pflasterten seinen Weg zum Ruhm: Bürgerschreck, Scharlatan oder Genie?
Schon als Kind demonstrierte er auf seine ganz persönliche Art gegen alles, was er nicht leiden konnte: Da der Vater in einer Rüstungsfabrik arbeitete und der Sohn sich mit dieser Tatsache nun gar nicht anfreunden mochte, erschien Frank Vincent Zappa Jr. für längere Zeit nur mit angelegter Gasmaske beim Frühstückstisch.
Frank Zappa wurde 1940 als Sohn eines Chemikers von griechisch-arabisch-sizilianischer Abstammung in Baltimore, USA, geboren. Sein Weg zur Musikerkarriere zeichnete sich schon nach dem Hochschulabschluß ab. Erste musikalische Erfahrungen sammelte er als Drummer in Schülerbands – wenig später wechselte er schon zur elektrischen Gitarre, dem Instrument, das er heute beherrscht wie nur wenige Musiker der Rock-Szene.
Nach dem Schulabschluß 1958 wurde Zappa von vielen unterschiedlichen musikalischen Strömungen beeinflußt: auf der einen Seite sogenannte Klassiker der Moderne wie die Komponisten John Cage und Igor Strawinsky, auf der anderen Seite Rhythm & Blues, wie ihn hauptsächlich die schwarzen Musiker spielten, mit denen sich Zappa anfreundete.
Der Kontakt zum Rhythm & Blues vertiefte sich, denn der noch minderjährige Musiker hatte seine ersten Stelldicheins in diversen Nightclubs. Sein hervorragendes Organisationstalent kam schon damals zum Tragen: Zappa gründete jede Menge Gruppen mit skurrilen Namen wie Captain Glasspack & His Magic Mufflers.
Seine musikalische Entwicklung fand 1964 ihren vorläufigen Höhepunkt, als Zappa die Mothers Of Invention ins Leben rief, eine damals ungeheuerliche Truppe, die eine bis dahin nicht gekannte Häßlichkeit an den Tag legte. Ihr Äußeres, ihre Auftritte, ihre Texte und schließlich die Musik selbst bildeten eine einzige Provokation. Die Kritik sprach von „unbeschreiblich geschmackloser“ Musik.
Mit der LP „Freak Out“ schafften die Mothers Of Invention in Underground-Zirkeln und in der Freak-Szene den Durchbruch. Zwar dauerten Live-Auftritte in Clubs meistens nicht lange, denn die Zappa-Truppe wurde oft gleich beim ersten Mal gefeuert – trotzdem bildete sich in der musikalischen Subkultur eine eingefleischte Fan-Gemeinde.
Die Gruppe etablierte sich obgleich die meisten amerikanischen Rundfunkanstalten ihre Songs boykottierten. Denn da bekam alles und jeder sein Fett ab: „The American Way of Life“, das Spießbürgertum, das politische Establishment und in ganz besonderem Maß die Frauen. Zappa, der Prototyp des progressiv auftretenden Künstlers, entpuppte sich in seinen Texten als ausgemachter Chauvinist.
Der damalige Muff in der amerikanischen Innenpolitik, das immer drastischere Engagement der USA in Vietnam und eine allgemeine Welle der Politisierung – das alles mag Grund für die Zappasche Ideenflut in jenen Tagen gewesen sein. Die Durchschnittsbürger erklärte er zum Beispiel kurzerhand zu „Plastic people“ (Plastikleute), Sex packte er in pornographische Texte – Zappa und seine Mothers hielten sich damit lange Zeit an der Spitze der öffentlichen Ärgernisse.
Mit seinen zynisch-sarkastischen Wortspielen entwickelte er auch eine bis dahin in der Pop-Szene ganz ungewohnte neue Qualität. Da gab es sogar politische Aussagen wie diese: „Kein Akkord ist häßlich genug, um all die Scheußlichkeiten zu kommentieren, die von der Regierung in unserem Namen verübt werden.“
Aber solche kernigen Sätze aus den 60er Jahren blieben bald auf der Strecke. Aus seinen verbalen Rundschlägen ließ sich kein politischer Anspruch mehr herausfiltern. Heute fühlt sich der Genius nur noch sich selbst und seinen Ideen verpflichtet.
Wären die Mothers nicht gar so unfreundliche Gesellen gewesen – man hätte sie sicher viel stärker anerkannt. Immerhin schrieb das amerikanische Magazin Rolling Stone: „Frank Zappa kann man lieben oder hassen, aber niemals ignorieren.“
Zappas künstlerische Überlegenheit kommt nicht nur durch sein exzellentes Gitarrenspiel zum Ausdruck. Erst seine profunden Kenntnisse über Musiktheorie, Harmonielehre und Rhythmik machen ihn zum wahren Meister. Der ausgefallene Aufbau seiner Musik und die immens vielen, gekonnt verarbeiteten Ideen begründen seinen heutigen Ruf als Genie. Es gelang ihm nämlich, eine einmalige Verbindung aus Musik der 50er Jahre, Hippiekitsch, Jazz, modernem Theater, Comics und Porno zu schaffen. Anno 1970 tat sich auch für Frank Zappa eine neue Epoche auf. Er dokumentierte das mit seinem legendären „Scheiß drauf“-Poster, das um die Welt ging. Zeitweilig produzierte er unter eigenem Namen und auf seinem eigenem Label neue Platten – womit er vollends als Solist in den Vordergrund trat.
Die „Mothers“-Ära ging jedoch erst 1976 endgültig zuende. Die Zwischenzeit nutzte Zappa für diverse publicityträchtige Skandale: So propagierte er nicht nur Sex mit Minderjährigen, sondern auch drastische Strafen für unfähige Symphoniker - er wollte sie in spezielle Konzentrationslager zur Besserung einweisen lassen. Damit sorgte er ausreichend für Aufregung.
Zappa stellt sich gern als Super-Typ dar. Seine Musiker kauft und benutzt er genauso unbekümmert wie ihre Ideen. Böse Zungen behaupten, sie müßten sich dem Meister bedingungslos zur Verfügung stellen, denn er dulde keine Götter neben sich.
Zappa gilt schon zu Lebzeiten als Legende im Rockbusiness, nicht etwa nur wegen seiner extravaganten Auftritte und Texte. Damit sorgt er allenfalls immer mal wieder für einen Sturm im Wasserglas. Aber er hat zweifellos das Zeug zum Genie („Wenn nicht ich, wer sonst?“ fragt er). Er kennt die eigenen Fähigkeiten sehr genau und pflegt daher einen entsprechend selbstbewußten Personenkult. „Interviews mach’ ich nicht mehr, tausend Interviews, tausendmal Shit“, so lautet seine Devise für Öffentlichkeitsarbeit.
Trotzdem fand er sogar Anerkennung bei der internationalen Jazz-Kritik. Nicht nur, weil er in seinen Songs Jazz-Chorusse collagenhaft verarbeitet, sondern weil seine überragenden Gitarrenimprovisationen schlicht meisterhaft sind. Nicht nur die Gitarre beherrscht er perfekt. Vor allem mit seiner Stimme vermag er weit mehr als nur Gesang zu produzieren, indem er phonetische Strukturen höchster Schwierigkeit aufbaut.
Sein Drang nach Perfektion schließlich macht es anderen Musikern sehr schwer, mit dem täglich bis zu 14 Stunden hart schaffenden Arbeitstier Zappa auszukommen. Und wenn er nicht gerade in seinem eigenen Studio aktiv ist, befindet sich der Ehemann und Familienvater auf Tournee rund um die Welt. Dabei versetzt er die Veranstalter oft in Schwierigkeiten, da man nie so genau weiß, mit welchen Begleitmusikern er’s gerade treibt und wen er schon wieder gefeuert hat.
Zappas letzte Alben wie die Trilogie „Joe’s Garage“ strotzten leider nicht mehr so vor zündenden Ideen wie einst; häufig variierte er nur noch seine alten Einfälle. Ob essich dabei nur um ein zeitweiliges kreatives Tief handelte, wird sich spätestens bei seiner für den kommenden Sommer geplanten Tournee zeigen. AuBerdem stehen gleich zwei Zappa-Werke zur Veröffentlichung an: „Crush All Boxes“, eine neue Studio-LP, und ein Live-Album.
Mit der Single „Bobby Brown“ landete Zappa immerhin in den Hitparaden – mit 500 000 verkauften Exemplaren stellte sich auch der große kommerzielle Erfolg ein. Dabei nimmt Zappa auch beim Text von „Bobby Brown“ kein Blatt vor den Mund: Wer genau hinhört, wird viele Unkeuschheiten entdecken. Ein Hauch von Rebellion haftet Frank Zappa eben auch noch heute an.
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