Im Hagel von Zappas Giftpfeilen

By Franz Schäfer

Stereo, January, 1985


In den letzten Monaten publizierte Frank Zappa nach zwei Jahren Schweigen nicht weniger als vier neue Platten, absolvierte ausgedehnte Tourneen durch die USA und Europa, und jetzt arbeitet er im eigenen Studio schon wieder an zwei umfangreichen Projekten. Der Mann, der einmal die Mothers of Invention gründete, äußert sich heute über die Musikwelt – Kritiker, Hörer, Busineß – so scharfzüngig wie eh und je.

Und weil er soviel weiß und ein kluger Kopf ist, selbst wenn seine Musik heute manchen nicht mehr so recht gefällt, ist es nicht nur lehrreich, ihm zuzuhören – es macht sogar Vergnügen. Auch dann, wenn man gelegentlich selbst das Ziel der vielen Giftpfeile ist, die er abschießt. Das Folgende ist nur ein kurzer Auszug aus einem langen Gespräch, das ich mit ihm in London führte.

STEREO: Jemand nannte Sie neulich den Salvador Dali der Rockmusik. Wie sehen Sie sich?

ZAPPA: Soll ich das als Kompliment oder Hohn auffassen? Ich verstehe nicht soviel von Salvador Dali, als daß ich darauf antworten könnte. Jedenfalls: Ich bin kein verkommenes Genie oder Scharlatan, nur ein Mensch, der mit seinem Hirn und seinen Händen arbeitet, um den Lebensunterhalt zu verdienen – wie jeder Zimmermann oder Installateur auch.

STEREO: Gab‘s plötzlich wieder eine kreative Explosion in Ihrem Leben? Jetzt erscheinen in kurzer Folge nicht weniger als vier Zappa-Platten.

ZAPPA: Ich bin zwei Jahre nicht mehr auf Tournee gegangen. Während der Zeit lag ich schließlich nicht auf der faulen Haut, und was jetzt erschien, ist das Resultat von zwei Jahren Arbeit.
Jetzt möchte ich aber doch noch mal auf den – versteckten – Vorwurf der Scharlatanerie zurückkommen, weil das in die übliche Masche deutscher Journalisten paßt. Darf ich Sie fragen: Was ist für einen Deutschen überhaupt wirklich? Was für Vorstellungen haben Deutsche von anderen Menschen? Wieso bin ich ein Scharlatan, wenn ich nichts anderes tue, als zu arbeiten?

STEREO: Vielleicht kam ein gewisser Verdacht daher, daß Sie wieder mal auf so vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen mit den diversen Klassik-, Jazz- und Rock-Veröffentlichungen.

ZAPPA: Aber das ist doch nichts Anrüchiges. Es ist nicht meine Art, so zu arbeiten und zu funktionieren wie hundert andere Rockstars!

STEREO: Sie sind jetzt schon so lange in diesem Geschäft; sehen Sie es nur mehr distanziert oder zynisch?

ZAPPA: Ich nehme mein Publikum nie auf den Anis. Aber über die Musik wird heute wie früher kaum je geschrieben. Die Pop-Blätter schreiben über Dollars und Cents, über Moden, das Aussehen irgendwelcher Teenie-Stars oder darüber, wie eine Gruppe ein halbes Hotel zertrümmerte. Von Musik spricht kaum jemand, denn Popfans wollten selten irgend etwas über Musik lesen!

Und wann hat es jemals seriösen Rockmusik-Journalismus gegeben? Diese Schreiber verstehen doch kaum etwas von ihrem Handwerk, geschweige denn daß sie das Handwerk des Komponierens oder Musizierens verstünden. Da werden subjektive Empfindungen, Reaktionen und Meinungen publiziert, und die ganze Rock-Schreibe ist so intensiv mit den Machinationen der Industrie verquickt, daß nie mehr oder weniger wie ein verlängerter Arm der PR-Strategien der Plattenbranche funktioniert. Wie soll man das ernst nehmen? Die da schreiben, haben in den seltensten Fällen eine formale Musikausbildung genossen; wie maßen die sich Urteile an?

STEREO: Manche waren bekanntlich angehende Musiker, bei denen es mit der Pop-Karriere nie klappte...

ZAPPA: Was bedeutet, daß sie eifersüchtig sind. Die Musiker, über die sie dann schreiben, sind doch nur Mittel zu dem Zweck, den eigenen Namen bekannt zu machen. Das war immer der große Journalisten-Egotrip. Irgendwo projiziert er immer seine Sehnsüchte und seinen Ehrgeiz in die Person, über die er schreibt. Er will selber ein Star sein.

STEREO: Mit einem Ihrer neuen Projekte, dem von Boulez dirigierten Album „The Perfect Stranger“, versuchen Sie sich auf dem Gebiet zeitgenössischer E-Musik. Warum ist das, was man als Neue Musik oder Moderne Klassik bezeichnet, nie von einem breiteren Publikum rezipiert worden? Warum fanden solche Aufnahmen selten größere Verbreitung?

ZAPPA: Dafür gibt es viele Gründe. Erstens: Das meiste davon ist halt keine gute Musik und verdient nicht, akzeptiert zu werden. Das meiste, was als Minimal Music daherkommt, ist schlichter Betrug. Das könnte man auf jeder Straße mit Hilfe eines Schimpansen und eines Echoplex realisieren. Mit endlosen Wiederholungen wird man zum Liebling der Kunstgalerien. Ein anderer Grund sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. In den USA ist das geradezu grotesk, wenn man sich allein mal die Forderungen der Gewerkschaften anschaut: Der Mann, der für ein Streichquartett die Stühle auf die Bühne der Carnegie Hall schleppt, verdient viermal soviel Geld wie der Prim-Geiger. Und der dritte Grund ist der, daß all die Dissonanzen, mit denen da gearbeitet wird, irgendwann auch mal ihren Neuheiten-Reiz verlieren, nachdem sich der Schock gelegt hat.

Die meisten der großen Klassik-Kompositionen waren geschrieben worden, um das Entzücken eines Fürsten oder der Kirche hervorzurufen. Gegen deren musikalischen Geschmack konnte man revoltieren, aber dann hätte es kaum noch eine Chance gegeben, daß die eigenen Werke aufgeführt würden. Man hätte den Job verloren und wäre verhungert. Unzählige Komponisten sind unbekannt geblieben. Wenn man erfolglos war, bedeutete das nicht, daß dir Kompositionen schlecht waren. Sie wurden nicht aufgeführt. Und der Grund: Irgendwer, der genügend Macht hatte, mochte diesen Stil nicht. Gesualdo entwickelte für seine Zeit eine abenteuerlich neue Harmonik. Aber Top-40-Hils halte er damit nicht.

STEREO: Manche unverstandenen Genies wurden auch wiederentdeckt.

ZAPPA: Ja, nachträglich. Nun schauen Sie sich die Ökonomie des Musiklebens von heute an, und Sie entdecken, daß jetzt andere das Sagen haben, nämlich die Programmverantwortlichen in den Rundfunkanstalten. Nicht mehr ein König, sondern die Buchhalter in den Plattenfirmen. Nicht mehr Kirchenfürsten, sondern A & R-Typen. In der Popmusik-Welt sind die Normen sehr simpel, aber auch unglaublich rigide. Man muß sich an die erfolgreichen Formeln hatten, sonst wird man halt nicht gespielt.

STEREO: Ist das ganze Musikgeschäft etwas, in dem jeder jeden nach besten Kräften ausbeutet wie nur möglich? Die Plattenfirmen die Bands, die Popstars die Plattenfirmen usw.?

ZAPPA: Was soll das denn heißen? Nennen Sie mir doch mal ein einziges Beispiel dafür, daß ein Musiker die Plattenfirma ausgebeutet hat! Der Musiker ist derjenige, den man ausnimmt. Die Bankleute bei der Plattenindustrie bekommen ihr Geld immer. CBS gibt den Rolling Stones doch keine 28-Millionen-Dollar-Garantie, weil das so nette Leute sind. Sollte die CBS dieses Geld nicht zurückverdienen, wird mit Sicherheit einer seinen Job verlieren. Aber die Buchhalter rechnen schon vorher genau aus, was profitabel ist. Das sind keine Phantasten.

STEREO: Es gibt Gerüchte, Sie hätten Captain Beefheart ausgebeutet...

ZAPPA: Was? Das Gegenteil ist nichtig! Ich half ihm, aus einer Menge von Verträgen rauszukommen, denn er ist bekannt dafür, daß er jedes Stück Papier unterschreibt, das man ihm verlegt. Beefheart konnte damals für niemanden arbeiten oder Platten machen, denn er hatte fast bei jedem unterschrieben – er war arbeitslos, weil ihn jeder sofort verklagt hätte. Ich nahm ihn in die Band auf und mit auf Tournee; von dem Album erhielt er 50 Prozent Tantiemen, obwohl er wirklich nicht 50 Prozent der Arbeit geleistet hatte. Okay?

STEREO: In diesem Pop-Busineß gibt es mehr denn je Dilettanten, dir Unmengen Geld verdienen.

ZAPPA: Absolut richtig. Aber denken Sie immer daran:
Die kassieren das Geld der Leute, dir es verdienen, daß man sie mit solcher Musik bedient. Wenn Sie schon sagen, daß diese Musiker Dilettanten sind, was müssen Sie dann von deren Fans halten?!

STEREO: Sie haben immer wieder mal den Rock ‘n‘ Roll der fünfziger Jahre parodistisch benutzt, während diese Ära im nachhinein trotz aller repressiven Tendenzen in Filmen wie „American Graffiti“ als eine heile Welt der Vor-Vietnam- Jahre verherrlicht wurde.

ZAPPA: Klar, daß das heute mit Glamour drapiert wird. Aber schauen Sie sich doch au, was heute verherrlicht wird: ein Nichts! Was gab es in den letzten Jahren noch an so herrlicher schwarzer Musik, wie sie die Coasters sangen? Damals war es okay, wenn man bei einer Aufnahme Spaß halte. Diese Zeiten sind vorbei. Heute wird nichts mehr mit Spaß gemocht, alles ist so tödlich ernst. Wie Mode eine todernste Angelegenheit ist.

STEREG: Hat es je einen Punkt gegeben, an dem sich Klassik und Rockmusik trafen?

ZAPFA: Nie, dieser Klassik-Rock macht mich krank. Aber
er wäre nie entstanden, wenn ihn die Mitglieder Ihrer journalistischen Gemeinschaft nicht so populär gemacht hätten. Eine der schrecklichsten Figuren dieses „Klassik-Rock“ ist ein Deutscher namens Eberhard Schoener, und der hat versucht, mich zu diesem Unsinn einzuladen. Unsinn auch deshalb, weil das l3jährige Mädchen, dem man „Klassik-Rock“ als gute Musik aufschwätzt, sich niemals ein Streichquartett oder ein Symphonieorchester anhören würde. „Klassik-Rock“ ist nichts als ein verkaufsfördernder Slogan.

STEREG: Sie haben Captain Beefhearts „Trout Mask Replica“ produziert, eine der großen Platten der Rock-Geschichte. Und eines den verkannten Meisterwerke, das fast nichts verkaufte. Das Publikum empfand das nicht als zugängliche Rockmusik.

ZAPPA: Dabei hatte es eine Menge damit zu tun. Oder genauer noch: mit Rhythm & Blues. Was Beefheart damals machte, war in hohem Maße von Muddy Waters und Howlin‘ Wolf abgeleitet. Aber das haben die wenigsten begriffen, am wenigsten l3jährige Mädchen. Das sind diejenigen, die am meisten Platten kaufen:
niedliche junge Mädchen, dir Platten von Sängern kaufen, die wie hübsche Jungs aussehen und über Tanzen und Sex singen. Für Mädchen, die nicht tanzen können und mit Sex noch nichts wirklich im Sinn haben dürfen. So funktioniert das ganze Pop-Busineß!

STEREO: Die Video-Strategie beim Verkauf von Pop hat alles noch verschlimmert?

ZAPPA: Klar; die sehen aus wie die Cartoons im amerikanischen Samstagmorgen-Fernsehen, mit denen die Kinder gefüttert und verdummt werden. Ich habe vier Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren, und ich beobachte, wie die das konsumieren. Für die jüngsten ist MTV dasselbe wie besagte Cartoons. Das ist gefährlich, weil geisttötend.

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