"Alles grosser Betrug"
SPIEGEL-Interview mit Frank Zappa über Freaks, Kommerz und Anarchie

Thomas Hüetlin, Rüdiger Falksohn in Zappas Haus in Hollywood

Der Spiegel, No 34, 17 August 1992


SPIEGEL: Frank Zappa, Sie haben sich in Ihrer Karriere nie auf ein musikalisches Genre einengen lassen. Sie haben karikiert, gesprengt, zerstört. Trotzdem haben Sie immer beteuert, dass es in Ihrem äusserst vielseitigen Werk eine Makrostruktur gibt. Wie sieht die aus?

ZAPPA: Wie mein Leben. Wenn man sein Leben zu seiner Arbeit macht, dann ist das Ergebnis: Meine Arbeit bin ich.

SPIEGEL: Ihr jüngstes, klassisches Werk The Yellow Shark" ist eine Abkehr von Ihren letzten, jazzbetonten Arbeiten. Wenden Sie sich nun verstärkt der E-Musik zu?

ZAPPA: Sieht so aus. Ich bin 51 Jahre alt und habe keine Pläne, noch jemals eine Rock'n'Roll-Tour zu unternehmen. Genausowenig werde ich noch mal eine Rock-Platte aufnehmen.

SPIEGEL: Was haben Sie plötzlich gegen Rock'n'Roll?

ZAPPA: Ich habe eine Zeitlang ganz gern Gitarre gespielt und mich von einer Band samt Rhythmus-Sektion begleiten lassen. Aber das ist schon etwas länger her. Das letzte Mal hat es mich 400 000 Dollar gekostet.

SPIEGEL: Wollte Sie niemand spielen sehen?

ZAPPA: Nein, es lag daran, dass einige Bandmitglieder den Bassisten nicht mochten. Sie wollten sich nicht mit ihm auf eine Bühne stellen. Es gab bereits ausverkaufte Konzerte, aber meine Musiker traten nicht an, weil ihnen der Bassist nicht passte.

SPIEGEL: Klingt nicht sehr professionell.

ZAPPA: War es auch nicht. Wir hatten vier Monate geprobt, und dann suchen Sie nach so einem Marathon mal einen Ersatzmann. Das ist unmöglich. Also mussten wir die Termine absagen. Am Ende wurde jeder bezahlt ausser mir, weil ich der Boss war und sie meine Angestellten. Aus diesem Grund: nie mehr eine Rock'n'Roll-Tour.

SPIEGEL: Auch sonst scheinen Sie die Rockmusik zu hassen. Wenn Sie in ein Auto steigen, muss sofort das Radio abgestellt werden.

ZAPPA: Es hat mir nie besonderen Spass gemacht, Radio zu hören oder mir eine Pop-Platte aufzulegen. Die Strukturen sind so unglaublich simpel. Warum also soll ich mir das antun?

SPIEGEL: Stört Sie diese Primitivität?

ZAPPA: Nein, mich stören die Gründe für die Stumpfsinnigkeit. Ich mag Folk-Musik, und die ist weiss Gott einfach. Aber das meiste hat heute nicht einmal in seiner Einfachheit etwas Cleveres. Es ist ein Produkt, keine Musik. Es hat den Charakter einer Tapete, die zum Lebensstil des Kunden passen soll.

SPIEGEL: Sie haben es schon einmal, vor Ihrer Pop-Karriere, mit klassischer Musik versucht. Sie bewunderten Schönberg und Varèse, erhielten eine Ausbildung in Kompositionslehre und schrieben Zwölftonmusik. Warum haben Sie nicht mit klassischer Musik Karriere gemacht?

ZAPPA: Das können Sie in den USA getrost vergessen. Man kann nicht davon leben, ausser als Lehrer, der Leuten Dinge beibringt, mit denen sie kein Geld verdienen können. Vielleicht noch als Komponist von Film- oder Werbemusik.

SPIEGEL: Es gibt die New Yorker Philharmoniker, die Los-Angeles-Philharmoniker und ein paar andere US-Orchester, die ganz gut verdienen.

ZAPPA: Das Konzertsystem in den USA funktioniert wie ein Museum: Die Orchester bevorzugen solche Werke, die am einfachsten zu spielen sind, am wenigsten Zeit zum Proben beanspruchen und bekannt sind. Das Publikum will ohnehin nur den Dirigenten sehen und ist an der Musik nicht weiter interessiert.

SPIEGEL: Dann hätten Sie Mitte der siebziger Jahre als prominenter Klassik-Fan doch gute Karten gehabt.

ZAPPA: 1969 gaben mir die Los-Angeles-Philharmoniker einmal den Auftrag, eine Partitur zu komponieren. Ich sollte meine Rockband mitbringen und in einer Basketball-Halle auftreten – eine schwachsinnige Idee, aber 14000 Menschen kamen und hörten sich diesen Klangbrei an. Das beeindruckte die Klassik-Offiziellen derart, dass sie mich mit einem weiteren Auftrag belohnten: Ich sollte jetzt ein Concerto für zwei Flügel schreiben und ihnen, weil ich als Rockstar ja angeblich so reich war, dazu zwei Bösendorfer-Flügel kaufen. Vielen Dank", sagte ich, ihr habt wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank."

SPIEGEL: Das hatten Sie als eine der führenden Figuren der Freak-Kultur doch auch nicht.

ZAPPA: Ja, aber bei uns war das Programm, nicht Dummheit. Die Freaks hatten als eine kleine Gruppe von Leuten beschlossen, sozial, musikalisch, ästhetisch so viele Regeln wie möglich zu brechen. Sie tanzten jede Nacht in Kneipen wie dem Whisky a Go Go" oder dem Trip". Zu unserer Musik konnte man allerdings nicht tanzen.

SPIEGEL: Warum haben Sie und die Mothers of Invention" sich eigentlich so unglaublich hässlich gemacht?

ZAPPA: Das war nicht besonders schwer, so wie wir aussahen. Wir mussten uns nicht erst maskieren. Der fusselige Kunstpelz, den ich auf dem Cover unserer ersten Platte Freak Out" trage, war wirklich mein Mantel. Den habe ich damals 24 Stunden am Tag angehabt.

SPIEGEL: Ihre Band verhunzte und ironisierte bekannte Stücke oder produzierte schräge Klangkollagen . . .

ZAPPA: . . . und wurde deshalb aus jedem Klub, in dem wir auftauchten, gefeuert. Berühmt wurden wir erst in New York. Wir veranstalteten dort Konzert-Happenings, in denen zum Beispiel eine Giraffe Schlagsahne ins Publikum ejakulierte. Oder wir erlaubten Marines, Stoffpuppen zu massakrieren. Dazu spielten wir die amerikanische Nationalhymne.

SPIEGEL: Waren Sie damals die einzigen, die versuchten, Theater mit Rockmusik zu verbinden?

ZAPPA: Es gab noch eine andere Gruppe, The Fugs". Und eine Show namens The Live in". Die mietete ein Theater im East Village, und die Leute wohnten und lebten auf der Bühne. Wer ihnen dabei zugucken wollte, musste dafür Eintritt zahlen. Sie hängten ihre Wäsche dort auf, schalteten den Fernseher ein, setzten sich davor und tranken Bier. Die haben das Publikum ignoriert. Nur zum Kakken sind sie hinter die Bühne gegangen.

SPIEGEL: Wollten Sie damals nur ein bisschen dadaistisch rumspinnen oder, wie viele andere auch, die Gesellschaft verändern?

ZAPPA: Wir wollten nur den ganzen Scheissdreck nicht mitmachen.

SPIEGEL: Ihr drittes Album trug den Titel We're only in it for the money". War das programmatisch gemeint?

ZAPPA: Das war als Parodie auf die Beatles gedacht. Wir waren sogar zu hässlich, um nur des Geldes wegen dabeizusein.

SPIEGEL: Kaum vorstellbar, dass heute jemand mit so einer durchgängig radikalen Haltung noch Erfolg haben könnte. Was hat sich in den letzten 25 Jahren geändert?

ZAPPA: Rock'n'Roll ist eine Angelegenheit der Konzerne geworden. Er ist nicht mehr ästhetischen oder musikalischen Regeln unterworfen, er muss nur noch mit der Corporate identity des jeweiligen Konzerns zusammenpassen. Alles ist ein grosser Betrug.

SPIEGEL: Gruppen wie die Monkees" wurden schon in den sechziger Jahren am Reissbrett entworfen . ..

ZAPPA: . . . und die Byrds" spielten im Studio nie ihre Instrumente selbst. Aber die Akribie, mit der die Marketingmaschinen heute arbeiten, und ihre Riesenumsätze waren damals unvorstellbar.

SPIEGEL: Wo sind die Überbleibsel der amerikanischen Gegenkultur?

ZAPPA: Ich glaube, ausser Kommerz ist gar nichts von ihr übriggeblieben.

SPIEGEL: Welches war die letzte Pop-Platte, die Sie gekauft haben?

ZAPPA: Their Satanic Majesties Request" von den Rolling Stones, 1967.

SPIEGEL: Sie haben sich seit den siebziger Jahren zunehmend isoliert und sind jetzt Boss von sechs Firmen, die Zappa vermarkten. Zuletzt waren Sie sogar tschechoslowakischer Kulturbotschafter für Vaclav Havel. Was haben Sie da eigentlich gemacht?

ZAPPA: Nichts. Es kostete 5000 Dollar, um mich in den USA als Repräsentant einer ausländischen Regierung registrieren zu lassen. Nachdem mir die Position angeboten worden war, stattete Aussenminister James Baker der Regierung Havel einen Besuch ab und riet ihr, keine Geschäfte mit mir zu machen. Als ich den Titel dann hatte, erhielt die Regierung Havel einen Brief von Aussenminister Baker, in dem sie aufgefordert wurde, mich meines Postens zu entheben.

SPIEGEL: In der UdSSR waren Sie als Unternehmensberater unterwegs. Auch ein ungewöhnliches Hobby für einen Pop-Star.

ZAPPA: Ein Land mit 280 Millionen potentiellen Konsumenten ist verführerisch für jeden, der etwas zu verkaufen hat. Ich habe mir vor Ort ein Bild gemacht, denn die US-Medien schwiegen sich über die Verhältnisse dort aus. Meine Informationen habe ich dann 1990 im Kabelkanal Financial News Network vorgetragen.

SPIEGEL: Sie scheinen ja als Unternehmensberater ähnlich enthusiastisch zu sein wie als Musiker.

ZAPPA: Es war tatsächlich wie Komponieren. In Russland warten Hunderte von Waffenfabriken darauf, etwas anderes als Panzer herzustellen. Und wenn irgendwo qualifizierte Arbeiter existieren, dann doch in der ehemaligen Rüstungsindustrie. Nur fehlt es an Kapital.

SPIEGEL: Vor einem Jahr wollten Sie auch noch Präsident der Vereinigten Staaten werden. Diesen Plan haben Sie offensichtlich aufgegeben.

ZAPPA: Ich habe Prostata-Krebs. Ich kann mir dieses Amt in meinem Gesundheitszustand nicht zumuten.

SPIEGEL: Jetzt haben Sie die Wahl zwischen George Bush und Bill Clinton.

ZAPPA: Man sollte aus ganz Washington einen Vergnügungspark machen. Dort sitzen die schlechtesten Clowns, die man für Geld kaufen kann. Natürlich würde ich Heber mein Kreuz machen, einen guten Präsidenten wählen und sagen: Du machst das schon. Aber wenn man diese Auswahl sieht.. .

SPIEGEL: Zum Beispiel den demokratischen Kandidaten Bill Clinton?

ZAPPA: Der ist aalglatt. Und Al Gore, sein designierter Vize, ist noch glatter als glatt, der ist pures Plastik. Aber er hat immer noch ein besseres Image als Dan Quayle. Aber das hat auch mein brauner Schuh hier.

SPIEGEL: Gibt es eine politische Strömung, auf die Sie Hoffnungen setzen?

ZAPPA: Ich hasse die alle, Republikaner wie Demokraten. Ich schätze Menschen als Individuen, gute und schlechte in jeder Geschmacksrichtung.

SPIEGEL: Zu den Zeiten der Mothers of Invention" wünschten Sie sich ein Land ohne Regierung. Sie meinten, es würde 500 Jahre dauern, bis die Leute reif genug dafür sind.

ZAPPA: Ich dehne das hiermit auf 500 000 Jahre aus.

SPIEGEL: Ihre anarchistische Phase ist also vorbei?

ZAPPA: Ich will nicht mein eigenes Wasser pumpen, meinen eigenen Müll entsorgen, mich um die Abwässer kümmern. Ich bin nicht der Kommune-Typ, der morgens Beeren sammelt, damit er etwas zum Mittagessen hat. Ich liebe Elektrizität. Anarchie bedeutet Abwesenheit von Herrschaft. Wenn man aber Zivilisation haben will oder positive Spuren davon, dann geht das nicht ohne eine politische Struktur.

SPIEGEL: Mit Ihrer Kandidatur klappt es nicht – was nun? Resignation?

ZAPPA: Man kann ein Reizmittel bleiben, nach besten Kräften.

SPIEGEL: Was Sie immer getan haben.

ZAPPA: Ich bin dafür geboren.

SPIEGEL: Sind Sie auch als überzeugter Kapitalist geboren worden?

ZAPPA: Ja. Private Leistung soll belohnt werden, sonst wird das Individuum mehr und mehr zu einer Amöbe. Etwas anderes sind die multinationalen Konzerne, die oberhalb des Zugriffs jeder örtlichen oder nationalen Behörde existieren. Die können auf alles pissen, auf jedermanns Umwelt, auf jeden Angestellten. Das ist die schlimmste Form von Kapitalismus.

SPIEGEL: Zum Kapitalismus gehören offenbar auch Aufstände wie die in Los Angeles Ende April.

ZAPPA: Diese Unruhen waren die beste Gelegenheit für Versicherungsbetrüger in der Geschichte der USA. Mehr als 5000 Feuer wurden in drei Tagen gelegt. Ich habe 23 Stunden Videoaufnahmen aus der Hubschrauber-Perspektive, und sie zeigen, dass sich die meisten Feuer auf dieselbe Art ausbreiteten: Sie brachen in der Mitte der Dächer aus, die Dächer fielen zusammen, und weit und breit war niemand, der einen Benzinkanister auf eines der Gebäude geworfen haben könnte.

SPIEGEL: Es ging bei den Unruhen nicht um Versicherungsbetrug, sondern um Rassenkonflikte, das zentrale amerikanische Problem.

ZAPPA: Die USA sind in jeder Beziehung polarisiert. Teil der amerikanischen Konformität ist, dass man immer zwischen zwei Alternativen wählen muss. Du bist entweder konservativ oder liberal, und das definiert dich. Du bist entweder Republikaner oder Demokrat, und das definiert dich. Wenn diese Polarisierung demokratisch erfolgen würde, wäre es in Ordnung, aber eine kleine Anzahl Rechtsradikaler kontrolliert und manipuliert die Medien und alle Mechanismen sozialen Verhaltens.

SPIEGEL: Manchmal klingen Sie wie ein enttäuschter Liebhaber Amerikas.

ZAPPA: Die Verhältnisse hier ähneln denen in der ehemaligen UdSSR. Und die Republikanische Partei ist so korrupt, wie die KPdSU es war. Sie basiert auf denselben Prinzipien wie die Nomenklatura. Die Privilegierten haben die politischen Verbindungen, dieselbe Art von Bestechung grassiert, und wer dazugehört, für den wird gesorgt.

SPIEGEL: Sehen Sie Abhilfe?

ZAPPA: Vielleicht durch ein besseres Bildungssystem, denn in den amerikanischen Schulbüchern steht nur Mist – das Resultat von 14 Jahren rechter Bildungspolitik. Die Inhalte basieren auf religiösen überzeugungen.

SPIEGEL: Kann wenigstens die Kunst das Bewusstsein ändern?

ZAPPA: Der kommerzielle Kunstbetrieb sowieso nicht und auch nicht unter den Bedingungen des Mäzenatentums. Dort wird die Musik gespielt, die dem Sponsor gefällt. Kunst ist in einer Industriegesellschaft wie dieser unnütz, sofern sie nicht dem Verkauf einer Ware dient.

SPIEGEL: Also muss man alles in Eigenregie machen?

ZAPPA: Ich brauche Grosshändler, die meine Platten in die Läden bringen. Ich brauche Künstler, die die Cover gestalten. Ich bin nicht zu 100 Prozent unabhängig, aber soweit wie möglich.

SPIEGEL: Ist dies für einen modernen Künstler die einzig aufrichtige Existenzform?

ZAPPA: Für mich funktioniert das.

SPIEGEL: Gibt es in den Staaten noch mehr Leute, die wie Sie glauben, dass es hier eine grosse Verschwörung gibt?

ZAPPA: Drei oder vier. Ich habe mit einigen telefoniert.

SPIEGEL: Man wundert sich, dass ein Los-Angeles-Hasser wie Sie überhaupt noch hier lebt.

ZAPPA: Alle Reparaturdienste, um mein Tonstudio in Gang zu halten, befinden sich hier. Das Zeug ist teuer und geht kaputt, und wenn man keinen Techniker und keine Ersatzteile hat, kann man im Paradies wohnen – aber man kann nicht weiterarbeiten. Ich kann Los Angeles aber nur überleben, indem ich zu Hause bleibe. Als Modell für die Zukunft hat es längst ausgedient. Strände und Luft sind verseucht, und der kalifornische Staat ist nicht mehr in der Lage, seine Bediensteten zu bezahlen. Deshalb haben sie jetzt Schuldscheine ausgegeben. Nur gibt es inzwischen keine Bank mehr, die die noch einlöst. Aber das ist erst der Anfang der Apokalypse. Das ist das fabelhafte Kalifornien.

SPIEGEL: Haben Sie das Gefühl, sich mit Ihrer Arbeit beeilen zu müssen wegen Ihrer Krankheit?

ZAPPA: Ja. Das ist nicht mal eben eine Erkältung, die man wieder los wird.

SPIEGEL: Die Sängerin Grace Slick hat Sie einmal als das intelligenteste Arschloch bezeichnet, das sie je getroffen hat. War das ein Kompliment?

ZAPPA: Wahrscheinlich schon.

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