Nimm 'ne Knarre Mit!
By Carsten Beckmann & Matthias Wagner
Frank Zappa ist wieder da. Im Frankfurter Hotel Steigenberger gab er den Kultur!News ein Exklusiv-Interview.
Der berühmte Bart, von dem ein Karikaturist einmal sagte, er sei neben den Ohren von Micky Maus die prägnanteste Pop-Ikone des Jahrhunderts, ist noch daran. Trotz grauer Strähnen, trotz wilder Gerüchte über die Schwere seiner Erkrankung wirkt Frank Zappa, 51, zehn Jahre jünger, als er ist. Die wuchernde Mähne zum Zopf gebunden und gemütlich an der Zigarette nuckelnd, empfängt er uns mit freundlichem Lächeln. Und binnen kurzem sind wir mitten in einem (zappaesken) Gespräch, das alles andere ist als bloßes Frage- und Antwortspiel: es geht um Kultur und Politik, um den Mythos des freien Marktes und die Beschränktheit amerikanischer Politiker. Um seine Heimatstadt Los Angeles, Rockmusik, Vaclav Havel, TV-Shows, McDonalds und natürlich um sein Werk "The Yellow Shark", das er mit dem Frankfurter Ensemble Modern einstudiert hat. Gegen Ende möchte er aus dem Fenster springen, komponiert stattdessen aber aus dem Stegreif ein kleines Stück für uns. Titel: "Struwwelpeter".
Kultur!News: Frank, ich fürchte, nach all den Interviews wird's jetzt ein paar Wiederholungen geben ...
Zappa: Die gibt's im Universum auch. Schau dir das an (zeigt auf eine Glasschale mit Würfelzucker). Alles Wiederholungen, Reproduktionen. Und doch mit Funktion.
K!N: Klappt es nach all den "orchestralen Dummheiten", die Du in Deiner Autobiografie beschrieben hast, mit dem Ensemble Modern besser?
Zappa: Absolut. Zum einen ist das Ensemble Modern kein Orchester, das ist der erste wichtige Schritt. Der nächste Schritt ist: Wir schlagen uns hier nicht mit staatlichen Fördermitteln herum. Eine Sache, die in der Vergangenheit - insbesondere in Wien - immer wieder für Probleme gesorgt hat.
K!N: Generell würdest Du also sagen, private Sponsoren sind verläßlicher als staatliche Geldgeber?
Zappa: Das Problem mit dem Staat ist: Regierungen wechseln. Je länger es dauert, bis ein Kultur-Projekt realisierbar ist, um so größer ist die Gefahr, daß der Beamte, der dein Projekt gutgeheißen hat, längst nicht mehr im Amt ist, wenn die Sache losgehen soll. So kommt es dann zu Problemen.
K!N: Abgesehen von der besseren Finanzierung: Was ist besser oder anders an der Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern?
Zappa: Nun, das Interesse der Musiker ist viel höher, als man das normalerweise bei einem Orchester antreffen würde. Arbeitest du mit einem 100köpfigen Orchester, dann schauen die meisten ständig nur auf die Uhr - hier macht das keiner.
K!N: In der Zusammenarbeit mit Musikern glaubst Du nicht gerade an demokratische Beziehungen zwischen Komponist, Dirigent und Gruppe ...
Zappa: Ich glaube nicht, daß das ein guter Weg ist, gute Musik zu machen. Wenn du über jede Phrase, über jeden Rhythmus, über jede Intonation eine demokratische Entscheidung fällen müßtest, würdest du nie zu Ergebnissen gelangen. Es gibt einfach die autoritäre Situation zwischen Musikern und Dirigent, der ihnen sogt, wann und wie laut sie zu spielen haben. Das ist sein Job, er ist der Boß. Wenn die Musiker kompetente "Mechaniker" sind, dann helfen sie, etwas aufzubauen, was du mit der Konstruktion eines Wolkenkratzers vergleichen kannst. No ja, und wenn die Komposition schlecht ist, kommt anstelle des Wolkenkratzers eben ein Mc Donalds-Imbiß dabei 'raus. Ich finde es immer wieder ironisch, daß mir die Frage noch Autorität und Demokratie so oft gestellt wird in einem Land, wo es Dinge wie den Tusch gibt. Tataa, Tataa, Tataa, lachen Sie jetzt!
K!N: Na, das gibt's bei Dir in Amerika doch auch zur Genüge, etwa in Fernseh-Shows.
Zappa: Sicher, das und viel schlimmere Dinge. Doch zurück zur Musik: Zu einer bestimmten Zeit, an einer bestimmten Stelle muß jemand da sein, der sagt "OK, jetzt fangen wir an" oder "OK, jetzt hören wir auf". Das heißt noch lange nicht, daß der Dirigent das Leben seiner Musiker bestimmt. Ein bißchen Organisation muß schon sein, ansonsten hat es gar keinen Zweck, zu versuchen, ein Stück Musik zu "bauen".
K!N: Hier zumindest ist die Zusammenarbeit mit Dirigent und Ensemble wohl ideal?
Zappa: Ja, wir haben hier absolut keine Probleme, uns selbst über die absurdesten Ideen zu verständigen.
K!N: Na, Du wußtest nach den Proben in Los Angeles im vergangenen Jahr ja ohnehin ziemlich genau, worauf Du Dich hier einläßt. Das bringt mich zurück zu Deinem Stück, zu "The Yellow Shark". Darüber wissen wir sehr wenig. Gibt es da eine Thematik, eine Geschichte, eine generelle Idee?
Zappa: Es wird ein Abend des Entertainments. Wir hätten die ganze Sache genausogut "Die purpurne Gurke" nennen können, ober jetzt heißt es nun mal "Der gelbe Hai", was wir Andreas Mölich-Zebhauser zu verdanken hoben, dem Geschäftsführer des Ensemble Modern. Es wird eine Abfolge von Stücken, die zumeist Programm-Musik sind. Daraus ergibt sich eine Art visuelle idee, die von diesen Stücken heraufbeschworen wird. Stilistisch sind sie sehr unterschiedlich, trotzdem ist keine Variete-Show zu erwarten.
K!N: Unterschiedliche Elemente - also Zusammenspiel von Musik, Tanz, visuellen Efekten?
Zappa: Na ja, es wird wohl nicht eine dieser groben Multimedia-Shows werden, aber sicher, es wird getanzt, und es gibt auch eine Textebene.
K!N: Über Kultur-Sponsoring haben wir bereits kurz gesprochen. Glaubst Du, daß auch die unabhängige, ungeförderte Kunst eine Zukunft hat, oder wird das Kultur-Sponsoring immer wichtiger?
Zappa: Ich sehe da eine Sache, die überall auf der Welt passiert: Mehr und mehr beginnen die Leute zu verstehen, daß es mehr Mythos als Tatsache ist, wenn behauptet wird, der freie Markt könne alle Probleme lösen. Das gilt insbesondere für die Kultur. Wenn die Kräfte des Marktes darüber zu entscheiden hätten, welche Art von Kunst überlebt, würden wir im Moment alle kulturell bei McDonalds essen. Um experimentelle Kunst zu betreiben, führt kein Weg am Sponsoring vorbei.
K!N: Würdest Du sagen, daß Amerika in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle einnimmt?
Zappa: Ich würde sagen, das Land mit der größten Tradition für Kultur-Sponsoring ist Deutschland. Ich kann da völlig falsch liegen, aber was ich bisher so gesehen habe, ist: mehr Unterstützung als in irgendeinem anderen Land.
K!N: ... während wir hier den Eindruck nicht loswerden, daß da noch eine ganze Menge zu tun ist. Außerdem betrachten viele deutsche Künstler die Vernunftehe mit privaten Sponsoren nicht ohne Argwohn.
Zappa: Jeder Künstler, der private Geldgeber kritisiert, ist herzlich eingeladen, in die USA zu kommen. Da gibt es nämlich überhaupt keine Geldgeber. Konsequenterweise muß der amerikanische Künstler, wenn er weiter von seiner Kunst leben will, die banalsten Sachen tun, wenn er nur ·eine Ausstellung finanzieren will. Du kannst bestimmte Dinge nicht malen, weil du sie nicht zeigen kannst, kannst bestimmte Dinge nicht sagen, weil das keiner hören will, kannst bestimmte Musik nicht spielen, weil kein Etat für Probenarbeit da ist.
K!N: Wo wir schon bei banalen Dingen sind: Wird es weitere Rock-Alben von Frank Zappa geben? Womit ich Dich keinesfalls beleidigen will, denn ich denke, keines Deiner Alben ist wirklich banal.
Zappa: Ach hör mal, da mußt Du schon ganz andere Dinge anstellen, um mich zu beleidigen. Aber im Ernst: Ich habe nicht vor, noch Rock'n'Roll zu spielen.
K!N: Ist das definitiv?
Zappa: Ich bin zu alt. Wenn ich an mein Alter denke und die Tatsache, daß ich 1988 400.000 Dollar verloren habe, die ich in die Tour steckte mit der vielleicht besten Band, die ich jemals zu sammengestellt habe - das gibt mir nicht gerade viel Ansporn, in diesem Bereich noch aktiv zu werden.
K!N: Was hälst Du von Musikern, die in der gleichen Zeit kein Geld verloren, sondern zehnmol so viel verdient haben und sich jetzt mit symphonischen Dingen beschäfigen wie Paul McCartney und Sting?
Zappa: Ich habe mal in die McCartney-Musik 'reingehört, und es ist nicht gerade meine Art von Musik, um ehrlich zu sein. Und dann ist da ein großer Unterschied: Er hat jemand anders dafür bezahlt, die Musik zu schreiben.
K!N: Ein Ghostwriter, obwohl McCartney in Anspruch nimmt, es sei seine Musik ... ?
Zappa: Wie auch immer Ich weiß, daß meine Sachen von mir sind, daß ich auch physisch daran gearbeitet habe.
K!N: Laß uns über Politik reden, falls Dir das am frühen Morgen nichts ausmacht. Ich habe gehört, Du bist ein guter Freund von Vaclav Havel.
Zappa: Na ja, guter Freund würde ich nicht gerade sagen, aber ich habe ihn getroffen und respektiere ihn sehr. Ich denke, die Entwicklung in der CSFR ist sehr unglücklich, es war ein Fehler, das Land zu zersplittern. Ich glaube auch, es war ein Fehler, schnelle Wirtschaftsreformen nach polnischem Muster durchzuführen. Ich glaube auch, die Tschechen und Slowaken haben ein ganz anderes Temperament als die Menschen in Polen. Zur Zeit des Umbruchs ging es der Wirtschaft der CSFR wesentlich besser als der in Polen; trotzdem waren die Leute in der Tschechoslowakei natürlich nicht glücklich darüber, den Gürtel enger schnallen zu müssen. Aber in Polen war die Lage so desolat, daß es gar nicht mehr schlimmer ging, während in der CSFR noch das eine oder andere funktionierte. Dann kam plötzlich der Zusammenbruch, und da sagen die Menschen natürlich: Warum haben wir das eigentlich gemacht, warum wählen wir diesen oder jenen wirtschaftspolitischen Kurs?
K!N: Siehst Du die Entwicklung in der CSFR im Zusammenhang mit nationalistischen Tendenzen in anderen Staaten, etwa Jugoslawien?
Zappa: Klar, das passiert überall. Einer der Gründe für diese fürchterliche Entwicklung ist ... na, nehmen wir einfach das Beispiel Amerika. Wenn du dir Amerika anschaust und dir anhörst, was die Menschen dort von ihrer Regierung halten, dann merkst du, daß es da überhaupt kein Vertrauen in die Bundesregierung oder in irgendeine andere Regierung mehr gibt. Die Amerikaner, die selbst eine politische Karriere eingeschlagen haben, sind von einem derart kleinen Kaliber - allesamt gemeine, banale, schreckliche kleine Leute. Politik hat eine große Anziehungskraft auf die schlimmsten Elemente innerhalb der US-Gesellschaft. Sie werden Politiker, und dann kannst du sie dir im Fernsehen ansehen, Tag für Tag live aus dem Kongreß auf zwei Fernseh-Kanälen. Du siehst, wie sie ihrer "Arbeit" nachgehen, wie sie ihre Reden halten, stellst fest, daß sie nicht einen Satz in vernünftigem Englisch sprechen können und das sind deine gewählten Volksvertreter ...
K!N: Siehst Du Dir diese Sendungen an?
Zappa: Na klar.
K!N: Heute hast Du die Chance, das deutsche Parlament im Fernsehen zu sehen, da geht's um den Marine-Einsatz in der Adria.
Zappa: Weißt Du, in den USA geht das 24 Stunden am Tag so. Wenn der Senat tagt, zeigen sie den Senat live. Tagt der Kongreß, strahlt das der andere Sender live aus. Dazwischen wird von Ausschußsitzungen berichtet, und so geht das Stunde für Stunde. Und dann schaltest du auf die "normalen" Nachrichten um und siehst den Präsidenten auf einem dieser idiotischen Fototermine, wo er nie wirklich etwas zu sagen hat. Nur Flaggen, Fotos und Leute, die "Hurra" schreien - das ist alles falsch, alles Shit. An diese Art von Politik kann ja keiner glauben. Du sitzt fest, möchtest an das glauben, was du nun mal gewählt hast, aber sie geben dir zwei wirklich schlechte Alternativen.
K!N: Du hast das auf der Pressekonferenz die Wahl zwischen Tweedledee und Tweedledum genannt ...
Zappa: Ja, und es ist immer so, nicht nur in diesem Wahlkampf. Nimm Bush und Dukakis, da ging es auch um Tweedledum und Tweedledee. Es geht immer darum. Nie ist jemand da, bei dem die leute das Gefühl haben: Ja, der könnte etwas für uns bewegen.
K!N: Du hattest selbst mal Pläne, in die Politik einzusteigen.
Zappa: Ja, ich habe darüber nachgedacht, aber dann kam mir meine Krankheit dazwischen.
K!N: Glaubst Du, daß Künstler politisch aktiv sein sollten und möglicherweise bessere Politik machen als "professionelle" Politiker?
Zappa: Als ich Vaclav Havel zum ersten Mal traf, sagte er mir: Unsere Revolution wurde von Künstlern gemacht, und wir müssen bessere Politik machen als die Politiker. Unglücklicherweise hat das nicht geklappt.
K!N: Reagan war doch wohl auch so etwas wie ein Künstler.
Zappa: Ein Künstler??
K!N: Immerhin zählte er als bezahlter Schauspieler zum Kreis der Künstler.
Zappa: Ein lausiger Schauspieler ist kein Künstler. Wenn ich das höre, könnte ich gerade hier aus dem Fenster springen!
K!N: Wir sitzen im Erdgeschoß ...
Zappa: Ich will mich ja auch nicht verletzen, nur so als Demonstration.
K!N: Du wirst ständig nach Deinem Gesundheitszustand gefragt.
Zappa: Vor drei, vier Wochen war ich in der Klinik. Was mich selbst gewundert hat, war: Nach drei Tagen war ich wieder draußen, fühlte mich wesentlich besser und kam hierher. Klar, ich weiß nie, wie es mir am nächsten Tag gehen wird, aber im Moment sitze ich hier, mache Witze und so weiter ...
K!N: Aber Du hast zur Zeit keine konkreten Pläne für die Zukunft?
Zappa: Nein. Da gab es einige Leute, die mich fragten, ob ich für diese oder jene Idee zu haben sei, aber momentan läuft nichts, was ich hier diskutieren könnte.
K!N: Du wohnst in Los Angeles ...
Zappa: Ja, ja, die Stadt mit den vielen Bränden, dem Rauch und den Unruhen.
K!N: Wird das weitergehen?
Zappa: Ja. Klar.
K!N: Lohnt es sich denn, länger als einen lag in los Angeles zu verbringen?
Zappa: Natürlich. Es ist so bizarr, überhaupt nicht mit dem Rest der USA zu vergleichen. Wenn Du clever bist und willst die Kultur eines Dir total unbekannten Ortes verstehen, mußt Du dahinfahren. Videos machen dich nicht schlau, Fotos nicht und auch keine Interviews. Fahr hin und bleib eine Weile da. Aber nimm 'ne Knarre mit.
Dasselbe Interview erschien im Zitty, Nr. 20/92, September, 1992 – "Struwwelpeter"; MARABO, September 92 – "Alles falsch, alles Shit"; ERFOLG, Wien, 10.92 – "Nimm 'ne Knarre mit!"