Solange es mir gefällt
Hartwin Möhrle (Frankfurt), Stefan Szenoner (Los Angeles)
Journal Frankfurt, Nr. 19/92, September, 1992 [1]
Ungewöhnlich sind die Wege des einstigen Oberclowns der Rockmusik – Frank Zappa. Nach jahrelanger, gesundheitsbedingter Bühnenabsenz komponierte er für das Frankfurter Ensemble Modern eine kammer-musikalische Suite, deren Aufführung für alle Zappa-Fans zum sicheren Höhepunkt wird. Am 22. und 23. September gastiert er mit Frankfurt dem Klassik-Ensemble und der Tanzgruppe La La La Human Steps in Berlin.
JF: Sie verstehen ganz gut Deutsch, sprechen auch ein wenig. Wo haben Sie Deutsch gelernt?
Zappa: Während der vielen Tourneen durch Deutschland. Nach der Toilette fragen, ob es einen Aschenbecher gibt oder etwas zu essen, das Notwendigste zum Überleben halt. Ich habe mehr zeit in Deutschland verbracht als in irgendeinem anderen europäischen Land
JF: Wann waren Sie das erste mal in Deutschland?
Frank Zappa: Ich glaube es war 1967. Unser erstes Konzert war in der Grugahalle in Essen.[2]
JF: Essen 1967, sicher eine seltsame Erfahrung für einen Freak aus Kalifornien?
Zappa: Darauf können Sie wetten. Ich hatte gerade "Die Waffen von Krupp" zu Ende gelesen. Und plötzlich war ich da, lief durch Essen und dachte "Oh mein Gott".
JF: Jetzt, 25 Jahre später, werden Sie in mehreren Städten Ihre Suite "The Yellow Shark" aufführen. Was hat Sie bewogen, mit dem Frankfurter Ensemble Modern zusammenzuarbeiten?
Zappa: Die Musikalität der Gruppe hat mich überzeugt. Auch die Neugierde der Musiker, ihr Ehrgeiz. Und letztlich die Garantie, dass ausreichend Zeit zum Proben zur Verfügung stehen würde.
JF: Letztes Jahr besuchte Sie das Ensemble für zwei Wochen in Los Angeles. Weder die klassischen Musiker noch der Rock-Komponist wussten so recht, was sie voneinander halten sollten. Wie war das?
Zappa: Sehr erfreulich. Wir hatten eine Menge Spass miteinander. Am Anfang, während der ersten Proben, waren sie sehr ernst. Niemand hat gelacht. Am Ende aber, da hätten Sie sie mal sehen sollen.
JF: Und die Probenarbeit in Frankfurt?
Zappa: Ebenfalls gut. Sie spielten zum Beispiel zwei Stücke, die anfangs nicht besonders gut klangen. Ich sagte: Ihr werdet sie nicht spielen können. Wir nehmen sie aus dem Programm. Aber sie haben einfach nicht aufgegeben, es immer wieder probiert. Nun fängt es langsam an zu klingen, so, dass wir die Stücke vielleicht doch spielen können.
JF: Sie haben vor einigen Jahren mit dem Ensemble InterContemporaine und Boulez gearbeitet. Was ist der Hauptunterschied zum heutigen Projekt?
Zappa: Ich komponiere diesmal Musik für Musiker, die ich kenne. Es hilft sehr viel, wenn Sie wissen, was der Klarinettist für ein Kerl ist. Sie können für konkrete Personen Dinge schreiben, die Sie für irgend jemand nicht schreiben würden.
JF: Ihre Kompositionen entstehen fast ausschliesslich auf dem Synclavier. Wie schwer war es, die Musik der Maschine auf das Ensemble zu übertragen?
Zappa: Man muss natürlich Kompromisse machen. Das Studio ist eine andere Welt als die Konzertbühne. Hätte ich keine Bühnenerfahrung, wäre ich jetzt vielleicht enttäuscht. Aber ich kenne die Unterschiede zwischen diesen Medien sehr genau, kann damit also sehr gut umgehen.
JF: Was bedeutet eigentlich "Yellow Shark"?
Zappa: Dieses Objekt wurde mir von einem Fan vor die Tür gestellt, vor etwa acht Jahren. Es lag jahrelang im Keller. Als das Ensemble nach Los Angeles kam, fand der Geschäftsführer das Ding so witzig, dass ich es ihm schenkte. Er dachte, es würde ein gutes Maskottchen abgeben für die Show. Es hätte auch irgendein anderes Objekt sein können.
JF: Hat die Show eine Story?
Zappa: Jedes Stück hat eine Geschichte, ist ein Bild von irgend etwas. Ich verstehe es als Programm-Musik. Aber die Zuhörer können ihre Fantasie natürlich frei gebrauchen.
JF: Hoffen Sie, nach "The Yellow Shark" endlich auch als Komponist sogenannter ernster Musik respektiert zy werden?
Zappa: Ich mache dass nicht, um respektiert zu werden. Ich bin sicher, dass es Leute gibt, die die Musik hassen werden. Es ist das gleiche wie wenn ich Rock'n'Roll-Musik mache. Dann werde ich eben von anderen Leuten hegasst. Ich arbeite mit klassischer Musik genauso wie mit Rockmusik. Solange es mir gefällt, mache ich es. Natürlich sollten es ausser mir auch noch einige andere Leute gut zu finden.
JF: Werden Sie Synclavier-Elemente in die Yellow Shark-Suite integrieren?
Zappa: Es wird eine oder zwei Möglichkeiten in der Show geben, Synclavier-Elemente mit der Ensemble-Moder-Musik zu kombinieren. Aber die show ist im Grunde rein akustisch komponiert. Während der Tanzszenen kommt Synclavier-Musik vom Band.
JF: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Tanzgruppe "LaLaLa Human Steps" in die Suite einzubauen?
Zappa: Sie schickten mir vor ungefähr einem Jahr ein Videotape und wollten, dass ich Musik für sie schreibe. Ich mochte ihre Arbeit und dachte daran, irgendwann mal etwas mit ihnen zusammen zu machen. Dies hier war nun eine gute Gelegenheit.
JF: Sie haben einmal Musik als die Organisation von Klang bezeichnet, ähnlich einer molekularen Struktur. Wo bleibt der Bauch, das Herz des Rockmusikers?
Zappa: Wenn Sie eine Komposition machen wollen, brauchen Sie eine Art Design, ein Stück Architektur. Egal, ob es ein Rocksong ist, ein Cowboysong oder ein Marsch. Da ist immer eine Struktur, die den Zuhörern erlaubt, von Punkt A zu Punkt B zu hören, egal, was dazwischen alles passiert.
JF: Was ist mit der Improvisation? Klassisch ausgebildeten Musikern fällt es in der Regel schwerer, zu improvisieren als etwa Jazz-Musikern.
Zappa: Da gibt es ein Missverständnis in bezug auf das, was Improvisation bedeutet. Ein Jazzmusiker, der improvisiert, nimmt den Ablauf der Harmonien und erfindet dazu eine Melodielinie. In unserem Falle gehen wir mit den Klängen an sich um, als Rohmaterial sozusagen. In einigen Improvisationen geht es entsprechend nicht um Noten, sondern um die Variationen der Klänge, die man auf den einzelnen Instrumenten erzeugen kann.
JF: Sie haben einmal gesagt, Ihr Werk sei eine einzige Komposition, sie fände nur auf verschiedenen Spuren statt. Auf welcher Spur befinden Sie sich zur Zeit?
Zappa: Wollen Sie die Nummer wissen?
JF: Was ist mit der Rockmusik?
Zappa: Ich habe keine Rock'n'Roll-Pläne mehr.
JF: Sie sind wahrscheinlich der einzige Rockmusiker, dessen Gitarrensoli immer wie eine ironische Auseinandersetzung mit den Klischees aller Rockgitarrensoli klangen. Gleichzeitig haben Sie mehrere LPs veröffentlicht – ausschliesslich mit Gitarrensoli. Warum kann man sich Ihre Soli anhören und die meisten anderen nicht?
Zappa: Weil sie sich entwickeln. Natürlich ist da Ironie drin, aber die Melodielinie entwickelt sich. Es ging mir nie darum, die Skalen möglichst schnell hintereinander runterzuspielen.
JF: Konnten Sie den Charakter Ihrer Musik so ohne weiteres in die Arbeit mit dem Ensemble Modern übersetzen?
Zappa: Dahinter steckt die gleiche Mentalität. Natürlich wird die Suite nicht klingen wie eines meiner Gitarrenalben. Sie werden vielleicht den einen oder anderen typischen Zappa-Rhythmus entdecken, die Melodien sind jedoch ganz anders.
JF: Noch ein Zappa-Satz: Das Verstehen einer Melodie ist wie das Verstehen einer menschlichen Sprache.
Zappa: Richtig. Nehmen wir einmal an, eine Melodie ist eine Aneinanderreihung von Tönen auf verschiedenen Tonstufen zu unterschiedlichen Zeiten. Die allerwichtigste Frage dabei ist, wann etwas geschieht. Das gilt übrigens für alles, was in diesem Universum passiert. Die Dinge sind verschieden zu verschiedenen Zeiten.
JF: Ein bisschen konkreter bitte.
Zappa: Je nachdem, wann sie kommt, kann eine Folge von Tönen innerhalb einer Melodie eine vollkommen andere Wirkung erlangen. Mit einer Melodie ist es wie mit der Sprache: Sie können einen Satz sagen, mit einer Pause da, einer Betonung hier, und schon erhält er eine andere Bedeutung. Eine Melodie ist wie ein Satz. Und eine bestimmte Gruppe von Noten ist nicht einfach ein Wort, sondern ein ganzes Konzept. Vergleichen Sie es mit chinesischen Schriftzeichen.
JF: Haben Sie ein Beispiel?
Zappa: Ein Negativbeispiel, die Noten am Ende eines Dixieland-Songs. Das geht dann so: da da, da da, da daaaa. Was bedeutet das eigentlich? Nichts.
JF: Welche musikalische Entwicklung liegt zwischen dem Frank Zappa, der" Titties and Beer" gespielt hat und dem Komponisten von" The Yellow Shark"?
Zappa: (lacht) Das hätte auch parallel existieren können. Das Ensemble hätte nur damals schon zu mir kommen müssen. Ich schreibe diese Art von Musik, seit ich vierzehn bin.
JF: Also war es ebenfalls nur eine Frage der Zeit, wann der Crossover wieder stattfindet?
Zappa: Natürlich. Es wird jetzt auch nur deswegen als ein Crossover empfunden, weil ich keinen Rock'n'Roll mehr spiele. Wenn ich das damals getan hätte, hätte ich "The Yellow Shark" gemacht und wäre im nächsten Jahr wieder mit einer Rock'n'Roll-Band auf Tour gewesen.
JF: Sie vermissen die Rockmusik ganz und gar nicht?
Zappa: Nein, nicht mehr mit 51. Ich mag einfach nicht mehr touren.
JF: Zuletzt waren Sie mit dem "Broadway The Hard Way"-Programm unterwegs. War das so schlimm?
Zappa: Das war wirklich eine sehr gute Band. Wenn die zusammengeblieben wäre, dann hätte sie Grosses leisten können. Aber es gab interne Konflikte in der Gruppe. Einige der Musiker hassten den Bassisten. Sie wollten nicht mehr mit ihm auf die Bühne. Ich konnte die schliesslich nicht mehr zusammenhalten. Das Ganze hat mich 400.000 Dollar gekostet.
JF: Seit Bekanntwerden Ihrer Krebserkrankung stellen viele Ihrer Anhänger immer wieder die Frage nach Ihrer Gesundheit. Wie geht es Ihnen wirklich?
Zappa: Manche Tage gut, dann wieder schlecht.
JF: Stimmt es, dass Sie von einem Naturheiler behandelt werden?
Zappa: Ja, das stimmt. Ich werde von einem amerikanischen Naturheiler behandelt, ohne jede Medikamente. Es ist die alte Methode des Handauflegens und basiert auf Energieübertragung und Elektrizität.
JF: Das hilft Ihnen?
Zappa: Ich glaube daran, und daher hilft es mir. Wenn es nach den Ärzten ginge, wäre ich bereits tot. Sie gaben mir noch sechs Monate. Das war vor zwei Jahren
JF: Sie engagieren sich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aktiv im politischen Leben. Ihre Kritik an den gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA ist jedoch unvermindert laut. Wie beurteilen Sie die Lage?
Zappa: Hoffnungslos.
JF: In Deutschland werden Sie oft als Kronzeuge der Kritik am amerikanischen Gesellschaftssystern benutzt. Da sind dann auch viele Vorurteile mit im Spiel. Stört Sie das?
Zappa: Die Leute sollten kritisch sein gegenüber den USA. Das Land hatte zu lange, wie wir es sagen, a free ride. Unsere kulturelle Ästhetik wurde mit Hilfe des Unterhaltungsgeschäft und durch zahllose Konsumprodukte in alle Welt exportiert. Doch das ist alles Partytime. Vergleicht man das mit der realen US-Aussenpolitik, merkt man schnell, dass da etwas falsch läuft. Die letzten zwölf Jahre mit Reagan und Bush waren eine Katastrophe.
JF: Wie sehen Ihre Prognosen für die Zukunft an?
Zappa: Die Dinge werden sich auf absehbare Zeit kaum ändern. Die Regierung is das Spiegelbild einer verblödeten Bevölkerung, die ein Opfer der Fernsehwerbung und der Programmgestaltung wurde, wo ihnen anstelle von Fakten Illusionen verkauft werden.
JF: Und die Politiker?
Zappa: Die Qualifikation der Personen, die sich heute um gesetzgebende Funktionen bewerben, sind unzulänglich. Sie sind "wirklich" Repräsentanten des Volkes. Dies zeigt, wie perfekt Demokratie sein kann.
JF: Was halten Sie von Bill Clinton?
Zappa: (lachend) Seit ich Bill Clinton bei einer TV-Show Saxophon spielen sah, machr er einen besseren Eindruck auf mich.
JF: Ist er eine Alternative zu Bush?
Zappa: Niemand kann schlechter sein als Bush. Er ist eine wandelnde Fiktion mit zuviel Leichen im Koffer. Was mich an Clinton am meisten stört, ist seine Frau. Es ist eine Nancy-Reagan-Situation. Alles, was er sagt, ist weichlich, nicht praktizierbar und nicht sehr clever. Wer weiss, was Mr. und Mrs. Clinton diesem Land antun könnten; er würde vielleicht irgendwo Saxophon spielen, während sie gerade die Bombardierung Jugoslawiens anordnet.
1. Dasselbe Interview erschien im Tip, Berlin, Nr. 19/92, September, 1992 – "Der gelbe Hai"
2. Es war September 1968. Essener Songtage.
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