Zappa
Ex-Mutter Zappa und sein neues «Hot Rats Orchestra» in Berlin

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Pop, November 23, 1972


Mit einem Feuerwerk sprühender Musikeinfälle stellten sich am vergangenen Freitag in Berlins Deutschlandhalle Frank ZAPPA und sein «Hot Rats Orchestra» zu einer Euopa-Live-Première vor.[1] Das neugierige Auditorium bekam seine Sensation aber ganz anders als erwartet. Mit einem Stück dessen Komponist hätte Strawinsky heissen können, eröffneten die Rock-Avantgardisten den Abend. Die Musiker arbeiteten mit Partitur, die aber Improvisationsmöglichkeiten breiten Raum liess. Die «22 best session musicians from Los Angeles» liessen sich nicht lange darum bitten. Die Soli hätten jeder prominenten Free Jazz Formation alle Ehre gemacht. Die Konsumenten unter den Zuhörern die Rock in Reinkultur mit Bühnen-Gags en suite erwartet hatten, waren verblüfft.

Zappa, der mit steifem Bein auf die Bühne humpelte zeigte sich als Dirigent alles andere als unbeholfen. Souverän wusste der Rock-Star aus 22 lndividualisten eine pulsierende Klangeinheit zu schaffen, die immer wieder wie Fühler ihre Soli in die Halle streckte‚ den Lauschenden reizte und den dann Angesprochenen schliesslich in einen komplex anmutenden Sound hüllte, auf den niemand gefasst sein konnte.

Atonal harmonisierte Schnulzenparodien mündeten in swingende Rockorgien, die aber in ihrer Rhythmisierung an das Modern Jazz Quartett in ihrer Melodieführung vielleicht an Leonard Bernstein erinnerten. Gekonnt und völlig durchgefählt intonierte Zappa auf seiner Gitarre einen Blues, wie er im Buche steht, die Hot Rats folgten, als hätten sie nie etwas anderes gespielt, die Zuhörer stimmten sich darauf ein, fühlten mit, da brach Zaps, wie man ihn auch nennt, ab und intonierte einen langsamen Walzer, der schliesslich wieder in atonalen Gefilden sein Ende land

Nach neunmonatiger Zwangspause — die ihm die Eifersucht eines Pop-Fans eintrug, der ihn am Ende seiner Show im Londoner Rainbow Theater von der Bühne zerrte — bringt dieser einmalige Pop-Provokateur das erste voll elektronische Orchester der Welt aul die Bühne, entwickelt völlig neue Techniken, einen nie gehörten, sinfonischen Rock-Sound, den er lässig — mit der Zigarette im Mundwinkel, die Gitarre umgehängt, die Rechte durch den Taktstock gleichsam organisch verlängert — aus den Hot Rats geradezu herauswinkte, manchmal heraussaugte.

Dank seiner unvergleichlichen, natürlichen Autorität gelang es ihm, aus einer Anhäufung von Exzentrikern, aber Spitzenkönnern, ein Ensemble zu schmieden, das in seiner Art in der Welt unbedingt einmalig sein dürfte. Er selbst zeigte sich verwundert dass die etwa 6000 Zuhörer, die gekommen waren, um Rock zu hören, schliesslich Klänge, die sie gewiss bis dahin strikt abgelehnt hätten, mit minutenlangem Applaus belohnten, der Ovationen gleichkam.

Wenn dieses Orchester wieder einmal nach Deutschland kommen sollte, dann wird es sich sicherlich nicht wiederholen, Dieses Konzert am vergangenen Freitag dürfte in die Musikgeschichte eingehen. Aber Frank ZAPPA, ein Eulenspiegel der Pop-Szene hat soviel Genialität in petto, dass er auch in Zukunft neue Maßstäbe aus dem Ärmel schütteln dürfte.


1. Concert in Deutschlandhalle, Berlin, September 15, 1972. Setlist: Band Intro, New Brown Clouds, Big Swifty, Approximate, For Calvin And His Next Two Hitchhikers, The Grand Wazoo, Greggery Peccary preamble, The Adventures Of Greggery Peccary, Dog Breath, Uncle Meat, Improvisations, Blues For A Minute, Penis Dimension, Regyptian Strut, Chunga's Revenge. (Rockinberlin)