Frank Zappa

By Teddy Hoersch

Musiker, July 1988


Unverkennbar: Frank Zappa. Da steht er, dirigiert seine beängstigend perfekte Elf-Mann-Combo, raucht lässig Kette und greift dann und wann für seine Soloexkursionen zur Stratocaster. Der gelernte Bürgerschreck, dessen Klo-Poster einst auf jedem WC-Lokus hing und dessen Frühwerke zum studium generale eines jeden aufgeklärten Zeitgenossen gehörte, kultivierte stets auch die Rolle des seriösen Musikers. Als Gitarrist, Bandleader, Arrangeur und Komponist hat Zappa wie kein zweiter das Gesichter Rockmusik verändert. Er attackierte seine treuen Hörer mit einem schrillen Klangmix aus parodistischem Jingle-Pop, elektronischen Avantgarde-Collagen und geräuschigem Free-Jazz. Ein Meister des Obszönen und Obskuren, verhöhnte er mit Unnachgiebigkeit den „American Way Of Life“ und formulierte in immer neuen Wendungen sein gallebitteres Credo aus Subversionen, Satire und Sexismus. Daß der in Baltimore geborene, in Kalifornien aufgewachsene Maestro stets mehr war als ein Zoten auftischender Verbalerotiker und zynischer Agent provocateur, bewiesen seine auf inzwischen zirka 50 LPs festgehaltenen Musikskulpturen. Ob Blues, Funk, Jazz, Reggae, R & B, Disco und Soul – Zappa perfektionierte und persiflierte so ziemlich jeden Stil. Kein Wunder: Der heute 47jährige galt bei der seriösen Kritik als einer der wenigen Rockmusiker von Niveau. In de New York Times wurde er aufgrund „200 Motels“ zum “ersten Meister der mixed Media“ ausgerufen. Jazz-Professor J. E. Berendt lobte Dichte und Dramaturgie von „Grand Wazoo“. Zappa, der Edgard Varèse, Anton Webern und Strawinsky als Einflüsse nennt, ist längst selbst ein Klassiker geworden. Boulez hat Orchesterstücke von ihm dirigiert. Er selbst hat Klassisches per Elektronik umgesetzt und spielt – zur Gaudi seines Publikums – Ravels „Bolero“ in einer Reggaeversion. Daß der Workoholic und vierfache Vater ganz nebenbei eine streng geordnete Firmengruppe mit Mailorder/Merchandising-Service (Barfko Swill), zwei Plattenfirmen (Zappa Records/Barking Punpkin) und Videovertrieb (Honker Home) unter der Dachorganisation von Musical Absurdities aufgebaut hat, blieb fast ebenso unbemerkt wie seine immer noch unterbewerteten Fähigkeiten als äußerst eigenwilliger, stets identifizierbarer Gitarrist.

Musiker: Am 2. Februar dieses Jahres bist du nach einer vierjährigen Bühnenabstinenz wieder auf Tournee gegangen. Wie ist es bisher gelaufen?

Frank Zappa: Die US-Tour lief sehr gut und war sehr erfolgreich. Und meine Band ist wirklich unglaublich gut. Ich bin froh, diese Truppe auch in Europa vorstellen zu können.

MM: Was hat man von dieser Fußballmannschaft zu erwarten?

FZ: Viel! Wir haben drei Gitarren: Ike Willis, Mike Keneally, eine echte Neuentdeckung, und mich selbst: Scott Thunes am Bass, Chad Wackerman am Schlagzeug, Ed Mann hinter einer Percussion-Batterie, Bobby Martin an den Keyboards und eine fünfköpfige Bläser-gruppe mit den Brüdern Walt und Bruce Fowler. Fünf Mann singen Lead- bzw. Chorstimmen: Ike, Bobby und ich Lead-, sowie Mike und Ed die sogenannten Stuntvocals.

MM: Ist es heutzutage nicht viel zu kostspielig, ein solch großes Team an den Start zu bringen?

FZ: Das mußt du mich im Juni, wenn die Tour vorüber ist, noch einmal fragen …

MM: Dein Rückzug aus dem aktiven Geschehen sollte endgültig sein. Die Drohung lautete: Nie mehr live und nie wieder Gitarre zu spielen. Was waren deine Gründe?

FZ: Ich zog mich aus dem Live-Geschehen zurück, weil das Reisen mich immer mehr anödete und obendrein immer beschwerlicher wurde. Wer die Nachricht verfolgt, weiß: Die Flugverbindungen zwischen den einzelnen Städten in den USA sind in den letzten Jahren immer schlechter geworden – Beinah-Zusammenstöße, fehlende Sicherheit, fehlerhafter Fahrplan. In Europa war das Reisen schon immer sehr mühevoll. Nun – diese Situation hat sich nicht verändert, aber ich hatte trotz aller damit verbundenen Beschwerlichkeiten wieder das Bedürfnis, live aufzutreten. Zwei andere Gründe für meinen zeitweisen Rückzug waren – erstens die Konzentration auf orchestrale Musik und zweitens meine Versuche mit dem Synclavier.

MM: Drei Jahre lang hast du, so konnte man lesen, die Gitarre nicht angepackt. Warum?

FZ: Ich hatte andere Dinge zu tun, die mir wichtiger waren.

MM: Aber jetzt spielst du wieder Gitarre, und dein neues Album heißt sogar „GUITAR“ …?

FZ: Das neue Album enthält Soli, die zwischen 1978 und 1984 aufgenommen wurden. Und ich spiele auch wieder Gitarre mit der Band, besser sogar als jemals zuvor.

MM: Hat es lange gedauert, bis du deine eigenen Soli und deine eigenen Stücke wieder spielen konntest_

FZ: Etwa sieben Monate. Manche Dinge, die man gemacht hat, vergisst man nie. Andere musste ich richtiggehend lernen. Wenn man drei Jahre pausiert, verlernt man nicht das Gitarrespielen, aber die Technik leidet. Das musste ich mir wieder aneignen. Aber ich denke, die Pause hat mir gutgetan.

MM: Hast du denn nicht einmal zu Hause die Gitarre zur Hand genommen?

FZ: Nun ja – vielleicht für ein paar Minuten. Aber da ich nicht spiele, um meine Kinder zu amüsieren, sondern um musikalische Ideen umzusetzen, kann man das nicht zählen.

MM: Du bist ein scharfer Kritiker dessen, was in den Achtzigern musikalisch geschehen ist und geschieht. Was hast du auszusetzen?

FZ: Die Musik, wie sie sich mir darstellt, wenn ich das Radio anlasse oder der MTV-Dauerberieselung nicht entfliehen kann, ist schlicht langweilig. Stinklangweilig. Und das ist noch mild ausgedrückt. Nur wenn man ein eingefleischter Tänzer ist, kann man an der Musik der Achtziger Gefallen finden. Da ich kein Tänzer bin, stelle ich fest, daß es so gut wie keine neuen kompositorischen Ideen mehr gibt. – Und es gibt noch einen Aspekt, den ich sehr bedauernswert finde – das ist das fast völlige Aussterben der Improvisation. Gruppen, die live improvisieren, kann man heute an einer Hand abzählen. In den letzten sieben bis acht Jahren konnte man einen wachsenden Trend hin zu tiefgekühlten Songformaten beobachten. Man arbeitet mit vorab aufgezeichneten Bändern, glänzt durch Technik und gefällt sich darin, die Videohits zu reproduzieren. Jede Banalität wird als neueste Errungenschaft der Menschheit angepriesen. Die Charts, soweit sie mir bekannt sind, stecken voller Klischees, die sich Songs nennen, und sind obendrein ein äußerst verdächtiger Marktplatz.

MM: Ist diese Situation auch bedingt durch die Zensurgelüste einiger bigotter Damen, die 1985 unter dem Kürzel PRMC jede Rock-LP durch Aufkleber kategorisieren wollten: O für „Okkult“, B/A für „Born Again“ …

FZ: Das ist ein schwieriges Thema. Man muss wirklich verstehen, was diese Damen vorhatten. Zum Glück haben sie zur Zeit nur noch geringen Einfluß. Ursprünglich wollten sie alle Rock-LPs mit starken, aussagekräftigen Teten durch Aufkleber kenntlich machen. Es ging ihnen vor allem um solche Texte, die vom Teufel, von Okkultem, von Se, Gewalt und Drogen sprachen. Ihr Ansinnen: Dem Gesetz über das Verbot von bildlicher Pornographie sollte ein Zusatz angehängt werden – „records, tapes, cd“. Damit hätte man nicht nur per Gesetz die Existenz des Teufels ratifiziert, sondern eine perfekte Big-Brother-Situation installiert. Man stelle sich vor, Def Leppard seien überführt, in ihren Texten Teufelszeug zu erzählen. Das Tragen eines Def-Leppard-T-Shirts hätte dann ausgereicht, seinen Träger für ein Jahr ins Gefängnis zu schicken. Ein zweites Vergehen hätte zwei Jahre Haft zur Folge gehabt, usw.

Heute lacht man über die PRMC-Damen, aber die Aktion war ganz geschickt angelegt. Man zensierte nicht die LPs, man zwang die Plattenindustrie dazu, besagte Produkte durch Aufkleber kenntlich zu machen. Da diese Forderung keine gesetzliche Handlungsgrundlage hätte, wurde sie nicht befolgt. Wäre die beantragte Verfassungsänderung durchgegangen, hätten viele Kaufhaus- und Händlerketten diese gekennzeichneten LPs erst gar nicht geordert und in ihre Läden gestellt.

MM: Du hast dich aus verständlichen Gründen stark in dieser Angelegenheit engagiert und sogar einen langen Brief an den US-Präsidenten geschrieben, in dem du um Stellungnahme zu diesem Thema gebeten hast? Hat er dir geantwortet?

FZ: Nicht persönlich. Aber ein paar Wochen später hat er in Chrystal City, Virginia, eine Rede zu diesem Thema gehalten und alle Leute im Plattengeschäft als Pornographen bezeichnet.

MM: Im besonderen wohl dich …?

FZ: Er hat mich nicht namentlich genannt, nein!

MM: Haben diese Zensurvorhaben nicht auch etwas mit der musikalischen Langeweile zu tun, die du eben beklagt hast?

FZ: Sicher gibt es da Querverbindungen. Alles, was eine Gesellschaft hervorbringt, gibt Auskunft über sie. Das gilt auch für Pop- und Rockmusik. Was hervorgebracht und vermarktet wird, spiegelt die Verhältnisse wider. Die amerikanische Gesellschaft unter Reagan ist langweilig, und die Musik, die man hört, gibt das perfekt wieder. Der Musik fehlt jedes Abenteuer, jedes Risiko. Das hat ganz eindeutig mit diesem unglücklichen politischen Klima zu tun, das hoffentlich zu Ende ist, wenn Reagan aus dem Amt ist.

MM: Waren denn die Sechziger soviel interessanter?

FZ: Nein – sie werden rückblickend sehr überbewertet. Die Presse von heute gefällt sich darin, die sechziger Jahre romantisch zu überhören. Ich fand es damals auch ein bisschen interessanter, aber den Mythos der „guten alten Zeit“ mag ich nicht glauben.

MM: Die „Broadway-The-Hard-Way“-Show besteht zu 50 Prozent aus Instrumental- und zu 50 Prozent aus Vokalstücken …

FZ: Folgende Situation: Die Band beherrscht etwa 108 Songs, was uns die Möglichkeit gibt, jeden Abend eine andere Show zu präsentieren. Der Soundcheck findet zwischen vier und sechs Uhr statt. Danach fertige ich eine Liste der Songs an, die wir spielen werden. Diese Liste wird fotokopiert und jedem Bandmitglied, dem Ton- und Lichtmann ausgehändigt. Bevor wir auf die Bühne gehen, haben wir ein Meeting, und ich erkläre den Herren, wie die Songs untereinander verbunden werden. Denn – wie du vielleicht weißt – spielen wir nonstop.

MM: Wie unterscheiden sich europäische von amerikanischen Konzerten?

FZ: Sie unterscheiden sich allein dadurch, daß ein amerikanisches Publikum meine Witze eher versteht als ein europäisches. Die Show muß ganz anders konzipiert sein, eben weil man mich hier nur bedingt versteht. Außerdem finde ich es unhöflich, als Gast in ein Land zu kommen und zu erwarten, daß man jedes Wort versteht. Das ist für uns auch ganz angenehm, denn in den USA steht man nicht sonderlich auf instrumentale Musik. Wir hingegen spielen diese Sachen sehr gern. Darum enthält eine Show in Europa normalerweise mehr instrumentale Anteile als die in Amerika.

MM: Du bist nicht nur Musiker, Singwriter, Arrangeur, Gitarrist und Bandleader, sondern auch Herr über eine weitverzweigte Firmengruppe. Da gibt es die Mutterfirmen International Absurdities und Music For Nations, die Plattenlabel Barking Pumpkin (Bellende Kürbisse) und Zappa Records, den Mailorder- und Merchandising-Zweig Barfko Swil sowie die Video-Company Honker Home … Bist du gleichermaßen Geschäftsmann wie Künstler?

FZ: Ja – und das schon seit vielen Jahren. Wer sich – wie ich das tue – selbst finanziert, braucht eine funktionierende Organisation drumherum. Außerdem veröffentliche ich Produkte, die die Industrie niemals veröffentlichen würde, weil sie nur Umsatz, nicht aber an Innovation interessiert ist.

MM: Was macht z.B. Honker Home Video?

FZ: Honker Home ist eine unabhängige Videofirma, die in Amerika von MPI vertrieben wird. Zur Zeit verhandeln wir mit Virgin über den Vertrieb der Honker-Home-Produkte in Europa. Zur Zeit gibt es sechs Programm-Angebote: zwei abendfüllende Filme und vier 60minütige Konzertmitschnitte.

MM: Ist Honker Home nur ein Kanal, deine eigenen Ideen auf diesem Sektor zu vertreiben, oder hätten auch andere Künstler die Möglichkeit, ihre Videos bei dieser Firma zu veröffentlichen?

FZ: Sicher können auch andere Künstler die Dienste dieser Firma in Anspruch nehmen. Allerdings weiß ich sehr genau, was und wohin ich will. Es gibt z.B. eine TV-Dokumentation eines britischen Produzenten über den religiösen Fundamentalismus in den USA. Das Fernsehen hat sich geweigert, diese Produktion zu senden. Ich fand diese Filmdokumentation sehr gut und versuchte, sie für Honker zu bekommen. Aber der Produzent wollte nicht auf dem Home Video-sektor damit und zeigt seinen Streifen jetzt in amerikanischen Theatern. Nachdem diese Sache gelaufen ist, wird’s vielleicht doch noch bei Honker veröffentlicht. Nun – an solchen Dingen bin ich interessiert!

MM: Sind diese religiöse Fundamentalisten, diese TV-Prediger und TV-Kirchen wirklich von irgendeiner Bedeutung?

FZ: Ja, diese Bewegung hatte auch politisch einigen Einfluß. Besonders, wenn man bedenkt, daß seit 1979 steuerfreie Spendengelder eingenommen wurden, die zum großen Teil den republikanischen Kandidaten und ihren Kampagnen zugute kommen. Reagans Wahl und die einiger Kongressabgeordneter wurde auf diese Weise finanziert. Durch die beiden großen Skandale – von Jimmy Swaggart wird man hier ja auch gehört haben – sind die Einnahmen dieser TV-Kirchen um zwei Drittel zurückgegangen. Wenn man mich fragt: sehr gut! Denn dadurch verlieren diese Organisationen an Einfluß.

MM: Wenn die Gesellschaft langweilig, die Musik langweilig und die Schallplattenindustrie wenig risikofreudig ist, warum betätigst du dich dann in ihr?

FZ: Ich arbeite nicht in, sondern trotz der Industrie.

MM: Ist Musik für dich mehr als ein Geschäft?

FZ: Seht viel mehr!

MM: Man nennt Bruce Springsteen den Boss. Michael Jackson verkauft viel mehr LPs als du. Fühlst du dich unterbewertet, beneidest du diejenigen, die kommerziell erfolgreicher sind als du?

FZ: Nein, überhaupt nicht.Ich bin ihnen dankbar. Denn vom Verkaufsstandpunkt aus betrachtet, braucht man jedes Jahr einen neuen Shooting Starr. Das zieht die Leute in die Plattenläden, und dieser Magnetismus dient dann auch mir. Ich hoffe, es gibt jedes Jahr einen dieser tollen Kerle.

MM: Welche Musik hörst du privat?

FZ: Wenn ich – was sehr selten ist – Zeit habe, mir zu Entspannung Musik anzuhören, dann lege ich bulgarische Volksmusik oder klassische Musik des 20. Jahrhunderts auf.

MM: Du hast seinerzeit Musik von Francesco Zappa, einem deiner Vorfahren, veröffentlicht. Kommt da noch mehr?

FZ: Es gibt sehr wenig geschriebene Musik von ihm. Möglich, daß noch ein Album erscheint. Aber es ist schwierig, weil wir nicht einmal Kopien seiner Musik von dem verantwortlichen Museum bekommen konnten.

MM: Es gab ein Album „BOULEZ CONDUCTS ZAPPA“. Wird es eins geben „Zappa plays Boulez“?

FZ: Ja, vielleicht … Ich hatte den Plan, einige frühe Boulez-Stücke – geschrieben für Kammerorchester – aufzunehmen, weil sie nie ordentlich aufgeführt worden sind. Mit den Möglichkeiten des Synclaviers könnte man einige Parts sogar schneller spielen als geplant.

MM: Was reizt dich an der Kombination Gitarre/Synclavier?

FZ: Das Synclavier hat viele gute Aspekte: Erstens werden menschliche Fehler dadurch ausgeschaltet, sofern es richtig programmiert wurde; zweitens kann man unzählige Instrumente genauestens damit abbilden, und drittens hat man alles unter Kontrolle. Außerdem erlaubt das Synclavier mir musikalische Sprünge, die ein Gitarrist einfach nicht bewerkstelligen kann. Gewissen, Tonarten, Höhen sowohl als Tiefen, gewisse Intervalle, gewisse Läufe sind auf einer Gitarre rein physikalisch nicht zu realisieren.

MM: HAVIN' A BAD DAY, das Debütalbum deines Sohnes Dweezil, wurde von dir produziert. Wie findest du seine neue LP MY GUITAR WANTS TO KILL YOUR MAMA?

FZ: Ist eine Popplatte mit Heavy-Metal-Streifen …

MM: Bist du eigentlich für deine Kinder auch musikalisch ein Vater?

FZ: Nein, ich lasse sie machen und gewähren. Vater bin ich in dem ganz normalen Sinne des Wortes.

MM: Bist du eigentlich optimistisch oder pessimistisch, was die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft anbelangt?

FZ: Ich befleißige mich eines vorsichtigen Optimismus', weil ich hoffe, dass die amerikanische Gesellschaft erwachsen wird, Dazu musste sie ein bisschen so werden, wie europäische Gesellschaften schon sind. Zur Zeit ähneln die Wünsche eines Durchschnittsamerikaners denen eines Teenagers. Die ganze Nation ist besessen von Teenagerwünschen: schnelle Autos, Hamburger, Levis … und deren Äquivalente gemäß Gehaltsklasse. Rein rechnerisch besteht eher die Chance, dass Amerika weiterbesteht, als dass es sich selbst in die Luft jagt.

MM: Mit 47 Jahren beginnt die Vergangenheit immer größer und die Zukunft immer kleiner zu werden …

FZ: Der Blick zurück langweilt mich. Ich hab nicht jene nostalgische Lust, wieder in einer Garage zu spielen.

MM: Was macht Captain Beefheart?

FZ: Er malt und hat – wie ich hörte – in New York seine erste Ausstellung organisiert.

MM: Ist Altern ein Problem für dich?

FZ: Ja, in gewisser Weise schon. Bevor ich diese Tournee startete, mußte ich nämlich zum Zahnarzt, was ich jahrelang vermieden habe. Ich habe seit 20 Jahren immer einen Bogen um Zahnärzte gemacht. War auch sehr unangenehm. Und als Folge der Verletzungen, die ich mir 1971 zuzog, als man mich von der Bühne in den Orchestergraben stürzte, habe ich ein Rückenleiden. Aber abgesehen davon funktionieren alle Teile meines Körpers wunderbar, vor allem das Gehirn.

MM: Wie hast du es mit dem amerikanischen Faible für Körperbewusstsein, Jogging usw.?

FZ: Ich joggen??? Das hier (hält Kaffeetasse und Zigarette hoch) ist meine Gesundheitsdiät.

MM: Wie sieht ein typischer Arbeitstag von FZ aus?

FZ: Ich arbeite im Schnitt 14 bis 16 Stunden lang.

MM: Hinter deinem Werk scheint ein Konzept, eine Philosophie zu stehen. Welche?

FZ: Nun, mein ganzes Leben, jede Äußerung, ob musikalisch oder verbal, ist ein Konzept – mal innovativ, mal reproduktiv. Wenn du mir eine Frage stellst, die ich bereit kenne, gebe ich dir eine Antwort, die ich schon gegeben habe. Wenn du deine Fragen variierst, variiere ich die Antworten. An seltenen Punkten geschieht das Unerwartete, das Neue.

Derselbe Konzeptgedanke steht hinter meiner Musik.

MM: Welche Gitarristen haben deiner Meinung nach etwas bewegt?

FZ: In den Fünfzigern waren das Johnny Guitar Watson, Guitar Slim, der frühe B. B. King, Hubert Sumlin und in geringerem Maße Buddy Guy und John Lee Hooker. Die Sechziger brachten kombinierte Slim-Harpo- und Muddy-Waters-Licks, Jeff Beck, Jimi Hendrix und Cream, die in puncto Live-Improvisation und Jamming hervortraten. In den Siebzigern ging es anscheinend nur darum, schneller, lauter und besser zu sein als der Vorgänger, der schneller, Lauter und besser war als sein Vorgänger … Heute geht's mehr und mehr um Nachahmung. Jeder will spielen wie Eddie Van Halen. Zusammenfassend: In den Fifties gab es5 Gitarristen, die in ihren beesten Momenten Persöhnlichkeit, Stil und Humor hatten. In den Sechzigern entdeckte man aufgrund der technischen Verstärkungsmöglichkeit und der besseren Studios einige neue Dinge, wie Elektrizität. Die Siebziger waren dumpf und olympisch.

MM: Was gefällt dir an Eddie Van Halens Gitarrenstil?

FZ: Erstens hat er eine Technik entwickelt, die kein anderer hatte. Und zweitens hat er sich als Instrumentalist derart in der Gewalt, daß es nicht gequält oder bemüht klingt. Es ist sein Ding, und er muß nicht beweisen, wie gut er ist. Außer Eddie gefällt mir auch Warren DiMartini von der Gruppe Ratt sehr gut. Dweezil machte mich auf ihn aufmerksam – und er hat wirklich etwas sehr Eigenes.

MM: Was muß ein Gitarrist haben, um deine Jury zu passieren?

FZ: Ganz einfach: Individualität. Die Griffbrett-Turner mit der Formel-Eins-Mentalität interessieren mich nicht. Ein Solo muß der direkte Ausdruck der Person sein, die es spielt, also einzigartig. Wes Montgomery hatte das, Allan Holdsworth hat es. Egal welches Genre oder welcher Stil – mich interessiert die Substanz des Spielers. Es gibt Bluegras-Gitarristen, die mich umhauen. Schnelligkeit allein ist kein Beweis für musikalische Qualität.

MM: Du spielst neuerdings in den Konzerten nicht nur Led Zeppelins „Stairway To Heaven“, sondern auch den Beatles-Klassiker „I'm A Walrus“. Wie kam's?

FZ: Ich fand den Song schon immer gut, nur hätte ihn eine bessere Band spielen müssen. Das ist jetzt geschehen. Wir präsentieren auch noch drei andere Beatles-Stücke, nämlich „Norwegian Wood“, „Lucy In The Sky With Diamonds“ und „Strawberry Fields Forever“. Diese Nummer haben wir während der US-Tournee eingebaut – mit einem Unterschied: Wir haben den Text vollkommen verändert, um die Story des TV-Evangelisten Jimmy Swaggart zu erzählen, der – wie man weiß mit einer Prostituierten ... Led Zeppelin kannte ich überhaupt nicht. Die Adaption von „Stairway To Heaven“ war ursprünglich nichts als ein Witz, ein Joke. Inzwischen gehört die Nummer zu den gefragtesten der Show. Durch die Bläsersektion haben wir aber auch Stücke ins Konzert eingebaut, die man normalerweise bei keiner Rockshow hört, so z. B. eine Reggaeversion von Ravels „Bolero“.

MM: Viele deiner neueren Texte sind böse politische Satire oder enthalten Kritik an den sozialen Zuständen Amerikas. In Anlehnung an einen LP-Titel von dir: Gehört Politik in die Musik?

FZ: Wenn man es schlecht macht, nicht, wenn man es so gut macht wie ich – warum nicht?! Ein Song wird nicht besser, wen er politischen Inhaltes ist. Aber wenn Form und Inhalt genauestens aufeinander abgestimmt sind, kann und darf Rockmusik auch politisch sein.

MM: Du hast vorhin erwähnt, daß die amerikanische Nation mental im Stadium eines Teenagers ist. Ist es nicht seltsam, daß in diesem Humus ein Genie wie Frank Zappa gedieh?

FZ: (grinst) Es ist der pure Wahnsinn, ja!

MM: Dein neues Album GUITAR ist – wie du sagtest – eine Kollektion von Songs und Soli aus den Jahren '79-'84. Ist es nicht gewagt, auf zwei LPs nur die Soli zu featuren?

FZ: Gewagt vielleicht, aber obendrein noch gut! GUITAR ist vom Ansatzpunkt her eine Fortführung von SHUT UP AN PLAY YER GUITAR. Nur daß die Stücke dieses Mal ineinanderfließen.

MM: Hätten die Mothers Of Invention heute eine Überlebenschance?

FZ: Nein, diese Chance wäre wohl gleich Null. Das Problem, das diese Band hätte, liegt in der Hauptsache bei dem, was man Top-40-Radio nennt. Wir wurden damals auch kaum im Radio gespielt, aber das Publikum hatte trotzdem Zugang zu uns und die Möglichkeit, unsere Platten zu kaufen. Wenn die Mothers heute an den Start gingen, wäre höchstwahrscheinlich nicht einmal das gewährleistet. Ein anderes Übel ist das MTV. Dort geht's in erster Linie um's Aussehen und erst in dritter oder vierter Linie um die Musik. Deswegen gibt's solche Kurzclips von Zappa auch nur in einmaliger Ausführung. Die CBS hat seinerzeit ein Video von „You Are What You Is“ finanziert: Reagan wurde auf den elektrischen Stuhl gebracht ... ein gutes Video!

MM: Du hast etwas mehr als 50 LPs veröffentlicht. Hat man da nicht die Angst, sich zu wiederholen?

FZ: Nein!

Teddy Hoersch (with a little help from some friends)

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