Jeder Dirigent ist ein Diktator

Klaus Winninger

Wiener, September, 1992


Frank Zappa, 51, einst Bürgerschreck und Rock-Exzentriker vom Dienst, zieht zur Zeit – schwer erkrankt – Bilanz und versucht, sich seinen Platz unter den grossen Komponisten dieses Jahrhunderts endgültig zu sichern. Er selbst leitet die Neuauflage seines umfangreichen Werkkataloges auf Compact Disc und ediert laufend Veröffentlichungen alter Live-Mitschnitte. Als Tüpfelchen auf dem i hat er mit "The Yellow Shark" jetzt auch noch ein abend-füllendes Programm avantgardistischer E-Musik komponiert, das er gemeinsam mit dem Frankfurter Ensemble Modern und der kanadischen Tanztheater-Truppe LaLaLa Human Stops am 26. und 27. September auch im Wiener Konzerthaus aufführen wird. Während sich eine Hundertschaft von Journalisten bei den abschliessenden Probenarbeiten in Frankfurt mit einer Pressekonferenz bescheiden masste, wurde der WIENER vom Meister zum exklusiven Einzelgespräch gebeten.

WIENER: Sie hatten immer den Ruf eines Kämpfers wider das bürgerliche Establishment. Heute arbeiten Sie für "The Yellow Slwrk" mit Opern-Direktoren, einem seriösen Orchester und Konzern-Managern zusammen. Fühlen Sie sich dabei immer wohl?

Zappa: Sagen wir es so: Ich will ganz einfach, dass meine neuen Kompositionen aufgeführt werden.

WIENER: Stört es Sie auch nicht, dass "Yellow Shark" von Siemens, einem multinationalen Grosskonzern, gesponsert wird? Schliesslich haben Sie stets gegen die gigantischen Wirtschaftskonzerne gewettert, weil diese die amerikanische Politik massgeblich diktieren würden.

Zappa: Das Herzstück meines Studios ist ein riesiges Mischpult, das von einer Siemens-Tochterfirma hergestellt wurde. Es ist also wenigstens so, dass es zum Sponsor eine sinnmachende Verbindung gibt. Ausserdem bin ich wirklich froh, dass sich endlich jemand gefunden hat, eine meiner musikalischen Visionen zu finanzieren. Bislang musste ich noch jedesmal selbst tief in die Tasche greifen. Zuletzt habe ich 1988 die "Broadway The Hardway"-Tournee inszeniert und damit 400.000 Dollar verloren, weil ich selbst die Musiker bezahlt habe und so fort.

WIENER: In der Vergangenheit hatten Sie bei der Zusammenarbeit mit klassischen Orchestern ja nichts als Probleme ...

Zappa: Der entscheidende Vorteil des Ensemble Modern ist, dass es eben kein normales Orchester ist. Orchester sind nicht nur zahlenmässig grösser als die 25 Musiker dieses Ensembles, sie hängen meist auch noch von politischen Institutionen ab. Man muss sich ständig mit der Bürokratie herumschlagen, die das Orchester finanziert – und die Musiker sind auch noch stinkfaul.

WIENER: Mit Musikern, die Ihnen als zu faul und unfähig erschienen, hatten Sie auch in Ihren Rock-Bands immer wieder Differenzen. Stimmt das?

Zappa: Ja, es war die Hölle. Das Ensemble Modern ist da das genaue Gegenteil. Sie proben wie die Besessenen und sind ausserdem allesamt brillante Musiker. Sie konnten bis jetzt alles spielen, was ich ihnen an Kompositionen vorgelegt habe. Selbst jene, bei denen ich ganz sicher war, dass sie scheitern würden.

WIENER: War der fortwährende Verdruss mit Musikern und Orchestern der Grund dafür, dass Sie Ihre letzten Platten alleine im Studio mit dem Synclavier, einem digitalen Zauberkasten, komponiert und eingespielt haben?

Zappa: Das kann gut sein. Obwohl ich etwa die Arbeit mit dem Ensemble Modern wirklich schätze, ist es mir heute wesentlich angenehmer, ganz allein zu arbeiten. Das ist viel unkomplizierter.

WIENER: Was Ihre Zusammenarbeit mit anderen Musikern anlangt, sind Sie als strenger Diktator berüchtigt – mit Recht?

Zappa: Natürlich. Jeder Bandleader und jeder Dirigent ist ein Diktator. Jemand muss ihnen ja sagen, wann sie lauter und wann sie leiser spielen sollen. Und wenn es um meine Musik geht, tue das eben ich.

WIENER: "The Yellow Shark" ist in Ihrem Schaffen ja kein Einzelfall. Schon seit Ihrer frühesten Jugend hat es Sie zwischen Rock 'n' Roll und moderner E-Musik hin- und hergerissen ...

Zappa: Meistens habe ich sogar beides gleichzeitig gemacht. Eine Rock-Tournee absolviert und nächtens im Hotelzimmer an einer Symphonie gearbeitet. Aber die einzige Musik, die ich lange Zeit aufführen konnte, war Rock 'n' Roll. Jetzt hat sich das glücklicherweise geändert.

WIENER: Ein Projekt wie "The Yellow Shark" macht den Eindruck, als hätten Sie es partout darauf angelegt, endliche als seriöser moderner Komponist respektiert zu werden. Liege ich da richtig?

Zappa: Ich muss und will niemandem etwas beweisen: Schon gar nicht dem Ensemble Modern. Wenn die Musiker meine Musik auf den Notenblättern vor sich haben, wissen sie, dass das bester Stoff ist und kein billiger Schwindel. Punkt.

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