Struwwelpeter

Carsten Beckmann, Matthias Wagner

Zitty, Berlin, Nr. 20/92, September, 1992 [1]


Gegen Ende des Interwiews möchte er aus dem Fenster springen, komponiert dann aber stattdessen aus dem Stegreif ein kleines Stück für uns und unsere Leserinnen.

Frank, wir fürchten, nach all den Interviews der letzten Zeit wird's für Sie jetzt ein paar Wiederholungen geben ...

Zappa: Die gibt's im Universum auch. Schaut Euch das an (zeigt auf eine Glasschale mit Würfelzucker). Alles Wiederholungen, Reproduktionen. Und doch mit Funktion.

Klappt es nach all den "orchestralen Dummheiten", die Sie in Ihrer Autobiographie beschrieben haben, mit dem Ensemble Modern besser?

Zappa: Absolut. Zum einen ist das Ensemble Modern kein Orchester, das ist der erste wichtige Schritt. Der nächste Schritt ist: wir schlagen uns hier nicht mit staatlichen Fördermitteln herum. Eine Sache, die in der Vergangenheit – insbesondere in Wien – immer wieder für Probleme gesorgt hat.

Generell würden Sie also sagen, dass private Sponsoren – wie Siemens im vorliegenden Folie – verlässlicher sind als staatliche Geldgeber?

Zappa: Das Problem mit dem Staat ist: Regierungen wechseln. Je länger es dauert, bis ein Kultur-Projekt realisierbar ist, um so grösser ist die Gefahr, dass der Beamte, der dein Projekt gutgeheissen hat, längst nicht mehr im Amt ist, wenn die Sache losgehen soll. So kommt es dann zu Problemen.

Abgesehen von der besseren Finanzierung: was ist sonst noch besser oder anders an der Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern?

Zappa: Nun, das Interesse der Musiker ist viel höher, als das normalerweise bei einem Orchester der Fall ist. Arbeitest du mit einem 100köpfigen Orchester, dann schauen die meisten ständig nur auf die Uhr. Hier macht das keiner.

In der Zusammenarbeit mit Musikern glauben Sie nicht gerade an demokratische Beziehungen zwischen Komponist, Dirigent und Gruppe, oder?

Zappa: Ich glaube nicht, dass das ein guter Weg ist, gute Musik zu machen. Wenn du über jede Phrase, über jeden Rhythmus, über jede Intonation eine demokratische Entscheidung fällen müsstest, würdest du nie zu Ergebnissen gelangen. Es gibt einfach die autoritäre Situation zwischen Musikern und dem Dirigenten, der ihnen sagt, wann und wie laut sie zu spielen haben. Das ist sein Job, er ist der Boss. Wenn die Musiker kompetente "Mechaniker" sind, dann helfen sie, etwas aufzubauen, was du mit der Konstruktion eines Wolkenkratzers vergleichen kannst. Na ja, und wenn die Komposition schlecht ist, kommt anstelle des Wolkenkratzers eben ein McDonalds-Imbiss dabei raus. Ich finde es immer wieder ironisch, dass mir die Frage nach Autorität und Demokratie gerade so oft in einem Land gestellt wird, wo es Dinge wie den Tusch gibt: Tataa! Tataa! Tataa! Lachen Sie jetzt!

Na, das gibt's bei Ihnen in Amerika doch auch zur Genüge. Etwa in Fernseh-Shows.

Zappa: Sicher. Das und viel schlimmere Dinge. Doch zurück zur Musik: zu einer bestimmten Zeit, an einer bestimmten Stelle muss jemand da sein, der sagt "OK, jetzt fangen wir an", oder "OK, jetzt hören wir auf". Das heisst noch lange nicht, dass der Dirigent das Leben seiner Musiker bestimmt. Ein bisschen Organisation muss schon sein, ansonsten hat es gar keinen Zweck, zu versuchen, ein Stück Musik zu bauen.

Mit dem Ensemble Modern zumindest ist die Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Ensemble wohl ideal?

Zappa: Ja, wir haben hier absolut keine Probleme, uns selbst über die absurdesten Ideen zu verständigen.

Na, Sie wussten nach dem Problem in Los Angeles im vergangenen Jahr ja ohnehin ziemlich genau, worauf Sie sich hier einlassen. Das bringt uns zu Ihrem neuen Stück, das Sie mit dem Ensemble Modern aufführen werden, zu The Yellow Shark. Darüber wissen wir sehr wenig. Gibt es da eine Thematik, eine Geschichte, eine generelle Idee?

Zappa: Es wird ein Abend des Entertainments. Wir hätten die ganze Sache genausogut Die purpurne Gurke nennen können, aber jetzt heiss sie nun mal The Yellow Shark (Der gelbe Hai), was wir Andreas Mölich-Zebhauser zu verdanken haben, dem Geschäftsführer des Ensemble Modern. Es ist eine Abfolge von Stücken, die zumeist Programm-Musik sind. Daraus ergibt sich eine Art visuelle Idee, die von diesen Stücken heraufbeschworen wird. Stilistisch sind sie sehr unterschiedlich, trotzdem ist keine Varieté-Show zu, erwarten.

Unterschiedliche Elemente. Also Zusammenspiel von Musik, Tanz, visuellen Effekten?

Zappa: Na ja, es wird wohl nicht eine dieser grossen Multimedia-Shows werden, aber sicher, es wird getanzt und es gibt auch eine Textebene.

Kultur-Sponsoring haben wir bereits angesprochen. Glauben Sie, dass auch die unabhängige, ungeförderte Kunst eine Zukunft hat, oder wird das Kultur-Sponsoring unvermeidlich?

Zappa: Ich sehe da eine Sache, die überall auf der Welt passiert: mehr und mehr beginnen die Leute zu verstehen, dass es mehr Mythos als Tatsache ist, wenn behauptet wird, der freie Markt könne alle Probleme lösen. Das gilt insbesondere für die Kultur. Wenn die Kräfte des Marktes darüber zu entscheiden hätten, welche Art von Kunst überlebt, würden wir im Moment alle kulturell bei McDonalds essen. Wenn man experimentell Kunst betreiben möchte, führt kein Weg am Sponsoring vorbei.

Würden Sie sagen, dass Amerika in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle einnimmt?

Zappa: Ich würde sagen, das Land mit der grössten Tradition für Kultur-Sponsoring ist Deutschland. Ich kann da völlig falsch liegen, aber was ich bisher so gesehen habe, ist: mehr Unterstützung als in irgendeinem anderen Land.

Während wir hier den Eindruck nicht loswerden, dass da noch eine ganze Menge zu tun ist. Ausserdem betrachten viele deutsche Künstler die Vernunftehe mit privaten Sponsoren nicht ohne Argwohn.

Zappa: Jeder Künstler, der private Geldgeber kritisiert, ist herzlich eingeladen, in die USA zu kommen. Da gibt es nämlich überhaupt keine Geldgeber. Konsequenterweise muss der amerikanische Künstler, wenn er, von seiner Kunst leben will, die banalsten Sachen tun, wenn er auch nur eine Ausstellung finanzieren will. Du kannst bestimmte Dinge nicht malen, weil du sie nicht zeigen kannst, kannst bestimmte Dinge nicht sagen, weil das keiner hören will, kannst bestimmte Musik nicht spielen, weil kein Etat für Probenarbeiten da ist.

Wo wir schon bei banalen Dingen sind: wird es weiter Rock-Alben von Frank Zappa geben? Womit wir Sie keinesfalls beleidigen wollen, denn wir halten Ihre sämtlichen Alben keineswegs für banal.

Zappa: Ach hört mal, da müsst Ihr schon ganz andere Dinge anstellen, um mich zu beleidigen. Aber im Ernst: ich habe nicht vor, noch Rock'n' Roll zu spielen.

Ist das definitiv?

Zappa: Ich bin zu alt. Wenn ich an mein Alter denke und die Tatsache, dass ich 1988 400.000 Dollar verloren habe, die ich in die Tour steckte mit der vielleicht besten Band, die ich jemals zusammengestellt hatte – das gibt mir nicht gerade viel Ansporn, in diesem Bereich noch aktiv zu werden.

Was halten Sie von Musikern, die in der gleichen Zeit kein Geld verloren, sondern zehnmal so viel verdient haben und sich jetzt mit symphonischen Dingen beschäftigen wie Paul McCartney und Sting?

Zappa: Ich habe mal in die McCartney-Musik reingehört und festgestellt: es ist nicht gerade meine Art von Musik, um ehrlich zu sein. Und dann ist da ein grosser Unterschied zu mir: er hat jemand anderes dafür bezahlt, die Musik zu schreiben.

Einen Ghostwriter! Obwohl McCartney natürlich in Anspruch nimmt, es sei seine Musik ...

Zappa: Wie auch immer: Ich weiss, dass meine Sachen von mir sind, dass ich auch physisch daran gearbeitet habe.

Lassen Sie uns über Politik reden, falls Ihnen das am frühen Morgen nichts ausmacht. Wir haben gehört, Sie sind ein guter Freund von Vadav Havel.

Zappa: Na ja, guter Freund würde ich nicht gerade sagen, aber ich habe ihn getroffen und respektiere ihn sehr. Ich denke, die Entwicklung in der CSFR ist sehr unglücklich. Es war ein Fehler, das Land zu zersplittern. Ich glaube auch, es war ein Fehler, schnelle Wirtschaftsreformen nach polnischem Muster durchzuführen. Die Tschechen und Slowaken haben ein ganz anderes Temperament als die Menschen in Polen. Zur Zeit des Umbruchs ging es der Wirtschaft der CSFR wesentlich besser als der in Polen. Trotzdem waren die Leute in der Tschechoslowakei natürlich nicht glücklich darüber, den Gürtel enger schnallen zu müssen. Aber in Polen war die Lage so desolat, dass es gar nicht mehr schlimmer ging, während in der CSFR noch das eine oder andere funktionierte. Dann kam plötzlich der Zusammenbruch, und da sagen die Menschen natürlich: warum haben wir das eigentlich gemacht, warum wählen wir diesen oder jenen wirtschaftspolitischen Kurs?

Sehen Sie die Entwicklung in der CSFR im Zusammenhang mit nationalistischen Tendenzen in anderen Staaten, etwa Jugoslawien?

Zappa: Klar, das passiert überall. Einer der Gründe für diese fürchterliche Entwicklung ist ... na, nehmen wir einfach das Beispiel Amerika. Wenn du dir Amerika anschaust und dir anhörst, was die Menschen dort von ihrer Regierung halten, dann merkst du, dass es da überhaupt kein Vertrauen in die Bundesregierung oder in irgendeine andere Regierung gibt. Die Amerikaner, die selbst eine politische Karriere eingeschlagen haben, sind von einem derart kleinen Kaliber – allesamt gemeine, banale, schreckliche kleine Leute. Politik hat eine grosse Anziehungskraft auf die schlimmsten Elemente innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Sie werden Politiker, und dann kannst du sie dir im Fernsehen ansehen, Tag für Tag, live aus dem Kongress auf zwei Fernseh-Kanälen. Du siehst, wie sie ihrer sogenannten Arbeit nachgehen, wie sie ihre Reden halten, stellst fest, dass sie nicht einen Satz in vernünftigem Eng-lisch sprechen können – und das sind deine gewählten Volksvertreter ...

Sehen Sie sich diese Sendungen an?

Zappa: Na klar.

Heute (am 22. Juli des Jahres, d. A.) haben Sie die Chance, das deutsche Parlament im Fernsehen zu sehen, da geht's um den Marine-Einsatz in der Adria.

Zappa: Wisst Ihr, in den USA geht das 24 Stunden am Tag so. Wenn der Senat tagt, zeigen sie den Senat live. Tagt der Kongress, strahlt das der andere Sender live aus. Dazwischen wird von Ausschusssitzungen berichtet, und so geht das Stunde für Stunde. Und dann schaltest du auf die normalen, Nachrichten um und siehst den Präsidenten auf einem dieser idiotischen Fototermine, wo er nie wirklich etwas zu sagen hat. Nur Flaggen, Fotos und Leute, die "Hurra!" schreien – das ist alles falsch, alles Scheisse. An diese Art von Politik kann ja gar keiner glauben. Du sitzt fest, möchtest an das glauben, was du nun mal gewählt hast, aber sie geben dir zwei wirklich schlechte Alternativen.

Sie nennen das die Wahl zwischen Tweedledee und Tweedledum ...

Zappa: Ja, so ist es immer, nicht nur in diesem Wahlkampf. Nehmt Bush und Doukakis, da ging es auch um Tweedledee und Tweedledum. Es geht immer darum. Nie ist jemand da, bei dem die Leute das Gefühl haben: ja, der könnte etwas für uns bewegen.

Sie hatten selbst mal Pläne, in die Politik einzusteigen.

Zappa: Ja, ich habe darüber nachgedacht, aber dann kam mir meine Krankheit dazwischen.

Glauben Sie, dass Künstler politisch aktiv sein sollten und möglicherweise bessere Politik machen als "professionelle" Politiker?

Zappa: Als ich Vaclav Havel zum ersten Mal traf, sagte er mir: "Unsere Revolution wurde von Künstlern gemacht, und nun müssen wir bessere Politik machen als die Politiker". Unglücklicherweise hat das nicht geklappt.

Reagen war doch wohl auch so etwas wie ein Künstler.

Zappa: Ein Künstler?

Immerhin zählt er als bezahlter Schauspieler zum Kreis der Künstler.

Zappa: Ein lausiger Schauspieler ist kein Künstler. Wenn ich das höre, könnte ich gerade hier aus dem Fenster springen!

Wir sitzen im Erdgeschoss ...

Zappa: Ich will mich ja auch nicht verletzen. Nur so als Demonstration.

Sie werden ständig nach Ihrem Gesundheitszustand gefragt.

Zappa: Vor drei, vier Wochen war ich in der Klinik. Was mich selbst gewundert hat, war: nach drei Tagen war ich wieder draussen, fühlte mich wesentlich besser und kam hierher. Klar, ich weiss nie, wie es mir am nächsten Tag gehen wird, aber im Moment sitze ich hier, mache Witze und so weiter ...

Aber Sie haben zur Zeit keine konkreten Pläne für die Zukunft?

Zappa: Nein. Da gab es einige Leute, die mich fragten, ob ich für diese oder jene Idee zu haben sei, aber momentan läuft nichts, was ich hier diskutieren könnte.

Sie wohnen in Los Angeles ...

Zappa: Ja, ja, die Stadt mit den vielen Bränden, dem Rauch und den Unruhen.

Wird das weitergehen?

Zappa: Ja. Klar.

Ist das Amerikas grösstes Problem?

Zappa: Amerikas grösstes Problem ist, dass Amerika ein gesetzloses Land ist. Ironischerweise haben wir mehr Gesetze, als irgendein Mensch verstehen könnte, doch keines dieser Gesetze kann wirklich durchgesetzt werden. Nicht genug Geld, um sie durchzusetzen, nicht genug Polizei, um sie durchzusetzen – die meisten dieser Gesetze hätten gar nicht erst geschrieben werden dürfen. Auch in Amerika gilt der Grundsatz: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Du weisst gar nicht, dass es da ein Gesetz gibt, das dir dieses oder jenes verbietet, und auf einmal wirst du strafrechtlich verfolgt, landest im Gefängnis, verlierst alles und wusstest nicht einmal von der Existenz dieses Gesetzes. Als Amerikaner kannst du dein ganzes Leben als potentieller Verbrecher verbringen. Warum dann nicht gleich Nägel mit Köpfen machen und Drogen verkaufen?!

Lässt sich das mit einer einfacheren Gesetzgebung in den Griff bekommen?

Zappa: Na klar. Erst einmal haben wir viel zu viele Anwälte. Damit die ihren Lebensunterhalt bestreiten können, gehen sie in die Politik. Dort schreiben sie wiederum neue Gesetze, was wiederum die Konjunktur für die Anwälte belebt. Ein Teufelskreis und ein weiteres Lehrstück aus dem Bereich Marktwirtschaft. Den Anwälten gefällt das: mehr Gesetze, mehr Klienten, mehr Geld. Und wer sich keinen Anwalt leisten kann, der wandert eben in den Knast.

Lohnt es sich denn, länger als einen Tag in Los Angeles zu verbringen?

Zappa: Natürlich. Es ist so bizarr, überhaupt nicht mit dem Rest der USA zu vergleichen. Wenn du clever bist und willst die Kultur eines dir total unbekannten Ortes verstehen, musst du da hinfahren. Videos machen dich nicht schlau, Fotos nicht und auch keine Interviews. Fahrt hin und bleibt eine Weile da. Aber nehmt 'ne Knarre mit.


Aufführungen von The Yellow Shark: Ensemble Modern, Peter Rundel (Dirigent), 22. und 23.9., Philharmonie. Ausserdem u.a. mit der Uraufführung eines Zappa-Werkes: Jeffrey Burns (Piano), 21.9. Akademie der Künste.


1. Dasselbe Interview erschien im KULTUR!NEWS, Nr. 9/92 – "Nimm 'ne Knarre mit!"; MARABO, September 92 – "Alles falsch, alles Shit"; ERFOLG, Wien, 10.92 – "Nimm 'ne Knarre mit!"

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