Frank Zappa "Wenn ich kein Genie bin, wer sonst"

By Gottfried Blumenstein

Musik Express, March 1973


"Wenn ich kein Genie bin, wer sonst" FRANK ZAPPA

Selbstverständlich darf man die Chance (zumal dies auch eine große Ehre ist), über den Rockmusiker Frank Zappa schreiben zu dürfen), nicht ungenutzt lassen, aber andererseits versucht man damit etwas schier Unmögliches. Wie soll man einem solchen Könner gerecht werden? Folgender Satz wurde zwar nicht auf Frank Zappa gemünzt, sondern auf den Sänger Randy Newman, aber damit könnte auch unser Held geehrt werden: Seine wunderbare Musik wird von wunderbaren Fans gehört.

Jener Teil des Publikums allerdings, der sich mit allzu viel seichter Musik den guten Geschmack verdorben hat, sei ausdrücklich gewarnt! Da gibt es nichts genüsslich zu konsumieren. Dieser Musik zu lauschen ist harte Arbeit, und das Schatzkästchen seligen Vergnügens öffnet sich erst nach einer gehörigen Portion Mühsal. Doch wer durch die Musik von Frank Zappa hindurch steigt, kommt am anderen Ende als klügerer Mensch heraus.

Kritisch anzumerken wäre wohl nur, dass Zappas eigene Klugheit kaum mit emotionaler Wärme durchsetzt ist, sondern messerscharf und eiskalt argumentiert. Wenn ich Frank Zappa recht interpretiere, geht er davon aus: In dieser Welt wird sowohl verbal wie musikalisch viel zu viel schwärmerisch herum gefaselt, und gerade ein überkühler Verstand tut not, der die bitteren Wahrheiten über die Vereinigten Staaten (denn das ist sein Generalthema) knallhart und ungeschminkt erfasst.

Geboren wurde Frank Zappa am 21. Dezember 1940 in Baltimore, Maryland. Er wuchs in einer Mittelklassefamilie griechisch-arabisch-sizilianischer Abstammung auf, in der es einigermaßen spannend zugegangen sein muss, wenn man sich die wechselnden Tätigkeiten seines Vaters Carl Zappa betrachtet: Büroangestellter, Friseur, Metallurge, Chemiker, Hochschul-Mathematiklehrer und Professor für Geschichte. Franks Mutter war Bibliothekarin, blieb aber zu Hause, als die Kinder kamen. Frank ist das älteste Kind, er hat noch zwei Brüder und eine Schwester. Über das Eheleben seiner Eltern hat er mit wenig Begeisterung gesprochen: "Ich bin immer der Ansicht gewesen, dass meine Eltern ein langweiliges Leben führten. Sie verbrachten den Großteil davon vor dem Fernseher. Ich hingegen wollte mich amüsieren. Also habe ich eine andere Richtung eingeschlagen." Wie sich später herausstellte, brachte ihm seine Arbeit das meiste Amüsement: Wenn er nicht auf Tournee ist, verbringt Frank Zappa täglich 12 bis 16 Stunden in seinem Studio mit Komponieren, Arrangieren, Produzieren und Texten.

Zu Beginn der fünfziger Jahre zog die Familie Zappa in die kalifornische Kleinstadt Lancaster, einhundert Kilometer von Los Angeles entfernt am gottverlassenen Rand der Mojave-Wüste. Ein Großteil ihrer 25000 Einwohner waren Afroamerikaner und Mexicanos, und so kam der an Musik interessierte Frank Zappa relativ leicht an Klänge heran, die einem weißen Mittelklassejungen im Normalfall verschlossen geblieben wären. Er war aber nicht nur am Rhythm & Blues der Schwarzen interessiert, sondern hatte auch ein Ohr für die ernste Musik. Seine Favoriten waren Igor Strawinsky, Anton Webern und Edgar Varése. Besonders letzterer, Franzose italienischer Herkunft und ab 1919 in den USA ansässig, beeinflusste Frank Zappa. Varéses berühmteste Komposition "Ionisation" war durch die Verwendung diverser Percussionsinstrumente gekennzeichnet, deren Einsatz beim ersten Hören völlig "freien Regeln" zu gehorchen schien. In Wahrheit organisierte Varése mit geradezu pedantischer Genauigkeit das musikalische Chaos. Frank Zappa, der zunächst verschiedene Schlaginstrumente erlernt hatte(Gitarre und Klavier kamen erst später hinzu), war von dieser Art des Komponierens sehr angetan, kam sie doch seinem Naturell entgegen. Wie chaotisch seine Musik auch klingen mochte, Frank Zappa wollte die totale Kontrolle über jeden einzelnen Ton, der gespielt wurde. Als er in den sechziger Jahren auf eine frei improvisierende Band namens "Wild Flowers" traf, sagte Frank Zappa zu den Musikern: "Zwar schätze ich das, was ihr macht, sehr, doch kann ich mir Ähnliches nicht erlauben; wir sind zu professionell. Ihr habt eine Art Freiheit, die ich mir nicht zugestehen kann."

Frank Zappas musikalische Ausbildung war außerordentlich fundiert. Er belegte Harmoniekurse und genoss Kompositionsunterricht. Für den restlichen Teil seiner Musikerausbildung übernahm er selbst die Regie. Er hörte jede Menge Schallplatten, verbrachte viel Zeit in Bibliotheken mit Partiturstudien und spielte vornehmlich mit Afroamerikanern in Rhythm & Blues-Bands. Ende 1964 formierte Frank Zappa dann eine eigene Band: The Mothers of Invention. Mit dieser Gruppe setzte er seine kühnen Ideen von einem multimedialen Rocktheater in die Tat um. Da war Musik nur ein Teil dessen, was sich auf der Bühne abspielte. Die Musiker hatten auch als Schauspieler zu agieren und mussten die von Zappa erdachten Grotesk-Szenen spielen.

Das Magazin "Life" schrieb über das Auftreten der Mothers: "Auf der Bühne kann alles Mögliche passieren. Puppen werden verstümmelt. Eine Gasmaske wird angelegt. Eine Tasche mit Gemüse wird ausgepackt und kontrolliert. Es gibt Stellen, an denen geschrien wird, und plötzlich stellen die Mothers `Tote Luft´ dar. Sie hören auf zu spielen, setzen sich hin und ignorieren das Publikum. Zappa lässt sich vielleicht von Motorhead, dem Schlagzeuger, die Schuhe putzen. Sie machen das so lange, bis das Publikum unruhig wird, sich unbehaglich fühlt und schließlich Ärger macht. Dann nähert sich Zappa ganz ruhig dem Mikrofon und sagt: `Das lässt eure Agressionen zum Vorschein kommen, nicht wahr?”

Im August 1966 erschien dann Frank Zappas erste Langspielplatte, das Doppelalbum "Mothers of Invention Freak Out". Auf der ganzen letzten Seite befindet sich die höchst raffiniert durchstrukturierte Percussionsorgie "The Return of the son of Monster Magnet", an der mehr als 100 Schlagwerk spielende Freunde beteiligt gewesen sein sollen und die eindeutig als Hommage an sein großes Vorbild Edgar Varése zu erkennen ist.

Bis zum heutigen Tag hat Frank Zappa dann knapp 50 (!) weitere LPs veröffentlicht. Nicht wenige Meisterwerke sind darunter. Frank Zappas spektakulärste Tat war dabei wohl das Multimediaprojekt "200 Motels". Die Ursprungsidee war, das verrückte Tourneeleben einer Rockgruppe auf Zelluloid zu bannen. Der Film wurde 1971 gedreht, und unter anderem traten Ringo Starr in Zappa-Aufmachung als "Larry, der Zwerg" auf, der "Who"- Schlagzeuger Keith Moon spielte eine liebestolle Nonne, und die Mothers stellten sich selber dar. Die wildbewegte Handlung torkelt zwischen Bett und Bühne hin und her. Die verwendete Filmtechnik ist für damalige Verhältnisse ultramodern.

Die Filmmusik war von Frank Zappa für Symphonieorchester und Rockband geschrieben worden und wurde auch als selbständiges Konzertprogramm dargeboten. Die Uraufführung des Bühnenspektakels fand im Mai 1970 im Pauley Pavillon der University of California statt. 11000 Leute waren gekommen, um das Los Angeles Symphony Orchestra unter der Leitung von Zubin Mehta gemeinsam mit Zappas Mothers of Invention musizieren zu hören. Die Rockkritiker überschlugen sich euphorisch ob des großen Ereignisses, die seriösen Konzertrezensenten waren da wesentlich zurückhaltender. So schrieb Martin Bernheimer in der "Los Angeles Times" sehr pfiffig, dass "es sich bei `200 Motels´ kaum um das umstrittenste Werk seit der Uraufführung von Strawinskys `Frühlingsopfer´ handeln dürfte". Das mag vielleicht nicht gerade wie ein dicke Lob klingen, aber immerhin fand man Frank Zappas Komposition für würdig (wenn auch negativ eingetrübt), mit Strawinskys Jahrhundertwerk verglichen zu werden.

Die Filmmusik wurde dann in London vom Royal Philharmonic Orchestra eingespielt, wobei gleichzeitig ein Doppelalbum veröffentlicht wurde. Die Musik ist eigentlich undefinierbar. In den großen Orchesterpassagen erinnert sie an Charles Ives, aber auch an George Gershwin, manche Lieder klingen wie verballhornte Broadwaymelodien, und die Rocksongs sind mit der Typischen Zappaschen Aggressivität versehen. Die Glanzleistung der Instrumentierungskunst ist der variable Einsatz der zahlreichen Percussionstinstrumente.

Die Texte bieten stark überzeichnete und mitunter rüde Reflexionen auf das wahnwitzige Tourneeleben, das sich besonders durch die hinter jeder Tür lauernden kleinen Mädchen kompliziert. So persifliert Frank Zappa die offensichtlich weitverbreitete Wahnvorstellung, dass gewisse unterdimensionierte Körperteile im Unterbewusstsein quälende Ängste hervorrufen können: "Es ist überhaupt nicht einzusehen, weshalb ihr oder eure lieben Angehörigen leiden sollten. Der Zustand der Welt ist schon schlimm genug, auch ohne dass die Größe eures Organs noch neues Elend hinzufügt!"

Frank Zappas Themenkreis, den er in seinen Stücken behandelt, ist weitgestreckt. Er macht sich über die normierten "plastic people" lustig, greift das korrupte Establishment an, legt die verdummenden Mechanismen der amerikanischen Massenmedien bloß. Zur Zeit scheint er besonders ärgerlich auf die vielen schnuckligen Popstars, die keine Noten lesen können und deren Dummheit bis zum Himmel stinkt: "Eigentlich leben sie in Boutiquen und besuchen das Studio auf dem Weg zum Friseur. Das ist absolut typisch für die 80er. In den USA glauben sie, das sei cool, und der Präsident bestärkt sie darin."

Zu Beginn der 70er Jahre war Frank Zappa der Meinung, dass man die Massenmedien benutzen muss, damit sich das kapitalistische System von innen her reinig. In den letzten Jahren ist jedoch Frank Zappa vorsichtiger geworden und sieht gerade in der Popmusik mehr und mehr ein Instrument der Mächtigen: "Multinationale Konzerne sind die wirklichen Herrscher, und in vieler Hinsicht unterstützt Popmusik die multinationalen Konzerne dabei, das intellektuelle Niveau so niedrig wie möglich zu halten. Man hat viel Cleverness dafür verwendet, ganze Völker dumm und arbeitswillig zu halten und dabei immer auch die Medien eingespannt. Es gibt Dinge, die für das System eine ständige Bedrohung darstellen, individuelle Logik zum Beispiel. Die multinationalen Konzerne funktionieren nur wenn alle daran glauben, wie in dem alten Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Eine Verbesserung ausgerechnet durch die Kunst zu erwarten, halte ich nicht für vernünftig, dafür ist es zu spät."

Dennoch gibt Frank Zappa nicht auf. Selbst wenn ihm der Kampf aussichtslos erscheint, lässt er sich nicht entwaffnen und gibt nicht klein bei. So befindet sich auf seiner 86er Platte ein Stück, das folgendes Vorkommnis aus dem Herbst 85 zum Thema hat: Die Senatorenfrau Mary Gore, Mutter von vier Kindern, fand per Zufall heraus, dass auf den Schallplatten ihrer Sprösslinge einige Lieder waren, die sie in Panik versetzten. Da wurden tatsächlich unanständige Worte verwendet. Mary Gore aktivierte noch einige andere Senatorengattinnen und bildete mit ihnen eine Anti-Porno-Rock-Lobby, die unter dem Namen "Die Frauen von Washington" bekannt wurde. Dank ihres großen Einflusses setzten sie durch, dass die 19 größten Schallplattenfirmen, die 80% des gesamten Marktes kontrollieren, auf Platten mit anzüglichen Texten die Warnung "Achtung Eltern: deutliche Texte!" anbringen müssen. Das rief natürlich die Rockmusiker auf den Plan, allen voran Frank Zappa, und sie verlangten eine Anhörung vor dem amerikanischen Senat. Dort zitierte Frank Zappa die Verfassung. Und meinte abschließend: Die Damen "empfehlen hier praktisch die Enthauptung, um das Problem von Haarschuppen zu lösen."

Frank Zappa liebt seine Heimat, und er will nicht, dass dieses Land gänzlich einer Horde übler Gesellen in die Hände fällt. Witzig, scharfsinnig, genialisch verteidigt Frank Zappa jeden Fußbreit Boden.

 

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